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Politik: Machtkampf in Jugoslawien: Abschied von den Hofberichten: Einst linientreue Journalisten streiken und fordern Anerkennung des Wahlsieges der Opposition

Das Zeitungspapier könnte bald knapp werden in Jugoslawien. Der einzige Papierhersteller des Landes, Matroz, beliefert die linientreuen staatlichen Zeitungen nicht mehr.

Das Zeitungspapier könnte bald knapp werden in Jugoslawien. Der einzige Papierhersteller des Landes, Matroz, beliefert die linientreuen staatlichen Zeitungen nicht mehr. Das Unternehmen, das früher nur widerwillig an die Blätter in Privatbesitz Papier verkaufte, bläst jetzt zum Kampf gegen den Präsidenten, dem es einst treu zur Seite stand.

Der einst reibungslos laufende Propaganda-Apparat des jugoslawischen Regimes bekommt Risse. Auch immer mehr Journalisten fallen dem geschwächten Staatschef Slobodan Milosevic in den Rücken, wollen keine Hofberichte mehr schreiben und verlangen die Anerkennung des Wahlsiegs des Oppositionskandidaten Vojislav Kostunica.

Als erste regierungsnahe Zeitung änderte das größte linientreue Blatt Nordserbiens, "Dnevnik", am Mittwoch die Verlagspolitik radikal. Erstmals erschienen auf der Titelseite Berichte über die seit Tagen andauernden landesweiten Proteste der Opposition. Ein Protestbrief mit den Unterschriften von 50 Journalisten landete am Dienstag auf dem Schreibtisch des Chefs der Zeitung "Politika", einer linientreuen Publikation, auf die der Präsident stets zählen konnte. Nur einem Mann im Staat zu dienen, verrate den "Ruf der Unparteilichkeit" des Blattes, hieß es in dem Schreiben. Drei Ressortleiter und einige Redakteure feuerte Zeitungschef Hadzi-Dragan Antic wegen des zivilen Ungehorsams postwendend. Die Kollegen des Radio- und Fernsehkanals von "Politika" zeigten sich mit den rebellierenden Zeitungsredakteuren solidarisch. Die Situation beim Fernsehsender sei ebenfalls "unerträglich", berichteten sie. Sogar in die Sendeanstalten des staatlichen Senders RTS ist die Revolution vorgedrungen. Die Musikredakteure von RTS-Belgrad traten in den Streik, um gegen die Entlassung ihrer Chefin zu protestieren. Sie hatte die Programmchefs aufgefordert, die "bewiesenen Ergebnisse" der Präsidentschaftswahl im Fernsehen zu veröffentlichen. Gleichzeitig traten 150 Journalisten des Staatsradios in Novi Sad in den Streik, weil die Führung des Senders sich weigerte, "objektive Nachrichten zu verbreiten".

Victoria Stegic

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