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Madrid: Gespenstischer Auftakt des Terrorprozesses

Im Prozess um die Anschläge auf vier Züge in Madrid hat einer der Hauptangeklagten alle Vorwürfe zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft fordert fast 40.000 Jahre Haft für "Mohammed, den Ägypter".

Madrid - Schweigend sitzt der Angeklagte auf seinem Stuhl. Mal blickt Rabei Osman al Sayed auf den Boden, mal an die Decke des Madrider Gerichtssaals. Derweil stellen die Staatsanwältin Olga Sánchez und die Nebenkläger eine Frage nach der anderen. Aber der 35-jährige Ägypter bleibt stumm.

Der Auftakt des Prozesses gegen die mutmaßlichen Madrider Attentäter, die am 11. März 2004 mit Bombenanschlägen auf vier Pendlerzüge 191 Menschen in den Tod gerissen haben sollen, hatte etwas Gespenstisches. "Mohammed, der Ägypter", wie der Angeklagte genannt wird, soll nach der Anklageschrift einer der Anstifter der islamistischen Terrorzelle gewesen sein, die die verheerendsten Anschläge der spanischen Geschichte verübte.

"Ich erkenne keinen der Anklagepunkte an und werde daher auch keine Fragen beantworten", sagte der Ägypter zu Beginn seiner Vernehmung. Dann lässt der Angeklagte, der in einer weißen Windjacke, dunklem Pullover und Jeans vor Gericht erschienen war, alle Fragen stumm über sich ergehen.

"Das waren meine Jungs"

Die Staatsanwaltschaft fordert für ihn 38.656 Jahre Haft, ebenso wie für die sechs anderen Hauptangeklagten. In einem Gespräch mit einem Gesinnungsgenossen, das die italienische Polizei abgehört hatte, soll der Ägypter nach den Anschlägen geprahlt haben: "Die Operation in Madrid war meine Idee. Das waren meine Jungs, die die Sache mit den Zügen gemacht haben."

In dem "Jahrhundertprozess" sind insgesamt 29 Verdächtige angeklagt. 18 von ihnen sitzen in einem Kasten aus Panzerglas. In einer Verhandlungspause stellte sich Pilar Manjón vor das "Aquarium", wie der Kasten genannt wird, und forderte die Angeklagten auf: "Merkt Euch mein Gesicht, denn ich werde Euer schlimmster Albtraum sein." Die frühere Gewerkschafterin hatte bei den Anschlägen ihren 20-jährigen Sohn verloren und ist heute die Präsidentin eines Opferverbandes und Nebenklägerin. "Die Angeklagten haben es nicht gewagt, mir in die Augen zu schauen", berichtete sie.

Viele Betroffene immer noch traumatisiert

Bei den Anschlägen waren 191 Menschen getötet und mehr als 1800 verletzt worden. Drei Jahre später leidet die Hälfte der Verletzten noch immer an Depressionen und Angstgefühlen. Mehr als 25 Prozent sind in psychologischer Behandlung. 20 Prozent haben bis heute keinen Zug mehr bestiegen. Einige erschienen in Begleitung von Psychiatern zum Prozess. Eines der Opfer brach beim Betreten des Gerichtssaals in Tränen aus.

Aus Sicherheitsgründen findet der Prozess nicht im Nationalen Gerichtshof statt, sondern in einer Messehalle, die von der Polizei in eine wahre Festung verwandelt wurde. 300 Polizisten bewachten den flachen Pavillon am Rande des Stadtparks Casa de Campo. Ein Polizeihubschrauber drehte über dem Gebäude seine Kreise.

Gab es Hintermänner?

In dem Prozess geht es nicht nur darum, die Verantwortlichen für die Anschläge zur Rechenschaft zu ziehen. Die für September erwarteten Urteile sind auch politisch von Bedeutung. Konservative Kreise in Spanien vertreten die Ansicht, dass die angeklagten Islamisten nicht allein gehandelt hätten und Hintermänner am Werk gewesen seien. "Die angeklagten Marokkaner sind kleine Lichter, die zu solchen Anschlägen nicht fähig waren", meinte ein Politiker.

Der Hintergrund dieser Vermutung ist, dass drei Tage nach den Anschlägen in Spanien Wahlen stattfanden und die Konservativen überraschend die Macht an die Sozialisten abgeben mussten. Dieses Trauma hat die konservative Volkspartei (PP) bis heute nicht überwunden. Teile der Partei vertreten die Theorie, dass bei den Anschlägen finstere Mächte am Werk waren, die die Konservativen von der Macht verdrängen wollten. Die Ermittler stellten fest, dass dafür keine Anhaltspunkte entdeckt werden konnten. "Im Madrider Prozess steht - neben den Attentätern des 11. März - auch die Konspirationstheorie vor Gericht", schrieb die Zeitung "El Periódico". (Von Hubert Kahl und Jörg Vogelsänger, dpa)

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