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Mali-Konflikt: Wüste außer Kontrolle

Die Geiselnahme in Algerien verschärft den Konflikt in Mali weiter. Droht in der Region ein Flächenbrand?

In Mali kämpfen französischen Truppen und islamistische Milizen miteinander – und in Algerien spielt sich ein Drama auf einem Gasfeld ab, wo islamistische Terroristen zahlreiche Mitarbeiter als Geiseln halten. Der Konflikt in Mali hat längst Auswirkungen auf die gesamte Region, weil zum einen benachbarte Staaten dem bedrohten Land Hilfe zugesagt haben, zum anderen radikale Islamisten zur Vergeltung aufrufen.

Welche Verbindungen bestehen zwischen dem Konflikt in Mali und der Geiselnahme in Algerien?

Für die Besetzung des Gasfelds in Algerien soll der algerische Extremist Mokhtar Belmokhtar verantwortlich sein. Bis vor ein paar Monaten war er noch ein Anführer der Terrorgruppe Al Qaida im islamischen Maghreb (Aqim) und hatte sein Quartier in der nordmalischen Stadt Gao aufgeschlagen (siehe Porträt auf der Meinungsseite). Belmokhtars Gruppe „Die mit Blut unterschreiben“ hat gefordert, dass Frankreich seinen Einsatz in Mali sofort beendet. Der mauretanischen Tageszeitung „Al-Akhbar“ hatte Belmokhtar Ende November 2012 gesagt: „Jedes Land, das in Azawad (Nordmali) interveniert, ist ein Aggressor, der eine muslimische Nation angreift.“ Aqim ist aus einer algerischen Islamistengruppe entstanden und rekrutiert sich vor allem aus Algeriern und Mauretaniern.

Was sagt die Geiselnahme in Algerien über die Macht der Islamisten in Nordafrika aus?

Tunesiens Präsident Moncef Marzouki sparte nicht mit scharfen Worten. Sein Land sei zu einem „Korridor“ für Waffenlieferungen an islamistische Extremisten in Mali geworden. Gotteskrieger aus Tunesien stünden in enger Verbindung zu „terroristischen Kräften“ in der Region. Für „das Hornissennest Mali“ allerdings hätte er sich lieber eine politische als eine militärische Lösung gewünscht, erklärte Marzouki und äußerte die Sorge, der Konflikt könne die Stabilität des ganzen nordafrikanischen Mittelmeerraumes in Mitleidenschaft ziehen.

Mit der Geiselnahme in der Gasförderanlage Tigantourine nahe der Ortschaft In Amenas, die im algerisch-libyschen Grenzgebiet liegt, haben die nordafrikanischen Al Qaida Kämpfer den französische Feldzug in Mali bereits nach einer Woche von einem regionalen in ein globales Problem verwandelt, das von den USA über Japan bis Europa die Regierungszentralen beschäftigt. Bald schon könnten weitere Attentate folgen, die sich gezielt gegen Öl- oder Gasförderanlagen, westliche Fachleute oder Touristen in Algerien, Libyen und Tunesien richten – eine Eskalation, die auch andere Staaten militärisch in den Mali-Konflikt hineinziehen würde.

Seit dem arabischen Frühling haben sich in allen Ländern Nordafrikas radikale Gruppen etabliert, bestens bewaffnet aus den Arsenalen des libyschen Bürgerkriegs und zu allem entschlossen. Tunesien verhängte zwischenzeitlich sogar den Ausnahmezustand, weil es dem Treiben der islamistischen Radikalen nicht mehr Herr wird. Die Zahl der Fanatiker schätzt man in Tunis auf rund 3000, auch wenn der harte Kern deutlich kleiner ist. Libyen wiederum erwägt nach dem jüngsten Mordanschlag auf den italienischen Konsul für die Stadt Bengasi eine nächtliche Ausgangssperre sowie weitere „drakonische Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit“, wie Premierminister Ali Zeidan ankündigte. Zwar hatten Bengasis Bürger die radikalen Gotteskrieger im vergangenen Herbst nach dem Mord an US-Botschafter Christopher Stevens mit einer Großdemonstration aus dem Stadtbild vertrieben. Eine Zeitlang waren die Kämpfer abgetaucht. Nun halten sie Bengasi mit einer Serie von Attentaten auf hohe Polizeioffiziere in Atem.

Vor drei Wochen schloss Libyen alle Grenzübergänge mit Algerien, Niger, dem Tschad und Sudan und erklärte den gesamten Süden des Landes zum militärischen Sperrgebiet. An den Realitäten vor Ort ändert das wenig, denn die extrem langen Grenzen durch Wüstengebiet sind faktisch unkontrollierbar.

In Algerien operiert Aqim seit Jahren. Ihre Unterschlüpfe befinden sich vor allem in schwer zugänglichen Gebirgsregionen der Kabylei. Die Zahl der extremistischen Kämpfer wird auf einige hundert geschätzt. In den vergangenen beiden Jahren zielten ihre Attentate ausschließlich auf Angehörige der Armee oder auf Polizisten an Straßensperren.

Wie entwickelt sich die Geiselnahme in Algerien?

Bei einem Luftangriff der algerischen Armee auf Gebäude, in denen islamistische Terroristen Dutzende westliche und algerische Geiseln festhielten, soll es viele Tote gegeben haben. Unbestätigten Berichten zufolge kamen mindestens 34 Geiseln und 15 Kidnapper um. Vier ausländische Geiseln seien befreit worden, meldete die staatliche algerische Presseagentur Aps. Die Lage war aber am Donnerstagnachmittag noch unklar.

Nach Angaben der mauretanischen Presseagentur ANI, die von den Terroristen seit Beginn des Geiseldramas am Mittwochmorgen als Informationskanal genutzt wurde, befanden sich am Donnerstagnachmittag noch sieben westliche Geiseln in ihrer Gewalt. Die Geiselnehmer drohten, die Überlebenden zu erschießen, wenn die Armee nicht ihre Angriffe einstelle. Ursprünglich sollen sich 41 westliche Arbeiter in der Hand der Terroristen befunden haben. Darunter Franzosen, Amerikaner, Briten, Norweger, Japaner und auch ein Österreicher.

Westliche Diplomaten und der britische Energiekonzern BP konnten zunächst nur bestätigen, „dass eine Militäroperation im Gang ist“. Möglicherweise habe die Armee das Feuer eröffnet, als die Geiselnehmer mit ihren Gefangenen in die Wüste fliehen wollten. Das Gasfeld wird von der algerischen Gesellschaft Sonatrach zusammen mit der britischen BP und der norwegische Statoil betrieben. Die japanische Ingenieursfirma JGC Corp erledigt Servicearbeiten auf dem Gelände.

Wie entwickelt sich die Militäraktion in Mali?

In Mali selbst war die Lage am Donnerstag ruhig. Französische Soldaten, die islamistische Kämpfer in der zentralmalischen Stadt Diabali eingeschlossen haben, stießen offenbar nicht weiter vor. Militärexperten sagten, Frankreich und die afrikanischen Truppen müssten nach den Luftangriffen nun noch weitere Bodentruppen ins Land bringen, um einen Rückzug der Islamisten in die Sahara zu verhindern. Seit einer knappen Woche versuchen französische und malische Soldaten den Vormarsch der Islamisten zu stoppen. mit rtr

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