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Politik: Man versteht nur Bahnhof

Von Gerd Appenzeller

Dieser Streit hat Format, großes Format. Die zwei, die sich da in der Wolle liegen, haben es auch. Hartmut Mehdorn, Chef des bedeutendsten Verkehrsunternehmens Europas, gegen Meinhard von Gerkan, Partner in einem der renommiertesten Architekturbüros der Welt. Die Streitfrage: Bestimmt der Architekt oder der Auftraggeber, wie ein Bauwerk am Ende aussieht? Der Streitgegenstand: Die Decke in der unteren Etage des neuen Berliner Hauptbahnhofs. Durfte Mehdorn, wie er sagt aus Kostengründen, ohne Gerkan zu konsultieren, 27 000 Quadratmeter Deckenverkleidung ganz anders als im Entwurf ausführen lassen? Das Berliner Landgericht sagte: Nein, der Bahnchef habe damit das Urheberrecht des Architekten verletzt.

Der Streit wird weitergehen, durch alle Instanzen, Mehdorn hat es im Tagesspiegel angekündigt. Und er hat gesagt, es habe seitens der Bahn immer das Gespräch mit dem Architekten gegeben. Genau das bestreitet Gerkan gegenüber diesem Blatt. Man habe seine vielen Bitten um Unterredungen hinhaltend behandelt und sei schließlich unwürdig mit ihm umgegangen. Grundsätzlich sind Architekten es gewohnt, dass Bauherren ihre Pläne gerne umkrempeln. Da sie bauen wollen, lassen sie sich in der Regel darauf ein – wer zahlt, schafft an. Große Architekten sind Künstler, aber sie sind nicht so weltfremd, dass sie sich Planungsänderungen verweigerten. Am Holocaustmahnmal kann man das ablesen. Als es Kritik am gemeinsamen Entwurf von Richard Serra und Peter Eisenmann gab, zog sich der Bildhauer Serra verärgert zurück. Der Architekt Eisenmann blieb und änderte – sein Plan wurde umgesetzt.

Im Streit um die Bahnhofsdecke sind, man ahnt es schon, zwei gegensätzliche Charaktere aufeinandergetroffen. Mehdorn ist der Prototyp des Machers. Er will, dass sich ihm die Dinge – und die Menschen – fügen. Widerstand fordert seinen Ehrgeiz geradezu heraus. Leider weckt er oft durch seine ziemlich robuste Art selbst da heftige Gegenkräfte, wo sie bei etwas pfleglicherem Umgang nie entstanden wären. Gerkan, der sich seines Rufes sehr wohl bewusst ist, gelang als Architekt, was Mehdorn vermutlich im übertragenen Sinne ebenfalls gern schaffen würde: Das Gesicht Berlins zu prägen. Vor dem neuen Hauptbahnhof hat er ja auch den Flughafen Tegel gebaut und die beeindruckende Umgestaltung des Olympiastadions ist ebenfalls ein Werk seines Büros, gmp.

Dabei hätte es Mehdorn eigentlich nicht nötig, um sein Profil besorgt zu sein. Die Bahn ist mittlerweile der größte Arbeitgeber Berlins, sie verbaute Milliardenbeträge in der Hauptstadt. Der Senat hat ihm das, Mehdorn beklagt dies zu Recht, bislang nicht sonderlich gedankt. Der neue Hauptbahnhof ist, neben dem Potsdamer Platz, dem Kanzleramt und dem von Norman Foster umgebauten Reichstag, eine der größten Attraktionen des neuen Berlin. Mehdorn verweist ja stolz darauf, wie viele Menschen in seinen Hauptbahnhof strömen. Sein Pech: Die Menschen bewundern nicht Mehdorns, sondern Gerkans Leistung und verstehen bei dem Streit vermutlich wirklich nur „Bahnhof“. Jeder begreift, dass ein Bauherr sich nicht ruinieren lassen mag. Aber es hat sich durchaus bewährt, dass Bahnmanager keine Bahnhöfe entwerfen und dass sie nicht über deren Ästhetik entscheiden. Reden freilich, mit dem Architekten reden, das müssen sie schon, wenn sie gehört werden wollen.

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