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Politik: Mangel an Beweisaufnahme

Ein EU-Bericht rügt die Arbeit der Sicherheitsbehörden in Bulgarien – doch beim Abhören sind sie fleißig

Der am Freitag erschienene Bericht zum Stand der Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen in Bulgarien ist wohl ein typisches Dokument Brüsseler Diplomatie. Bulgarien möge seinen Reformimpuls stärken, heißt es da sinngemäß, vor allem solle auch die polizeiliche Beweisaufnahme verbessert werden. Wie weit Brüssel entfernt ist von der Realität, wird vor allem deutlich aus dem Befund der Kommission, wichtig sei, dass Bulgarien die strenge Einhaltung der Gesetze zum Einsatz spezieller Ermittlungsmethoden garantiere. Seit Anfang des Jahres erschüttert ein beispielloser Abhörskandal das Land, der selbst die Kontrollkommission im bulgarischen Parlament in ungewohnter Offenheit hat bekennen lassen, Abhör- und Überwachungsmaßnahmen würden in Bulgarien übertrieben oft und zum Teil in eklatanter Verletzung einschlägiger Gesetze eingesetzt. Knapp 16 000 Abhör- und Überwachungsgenehmigungen wurden im letzten Jahr erteilt, fast dreimal so viel wie noch 2008.

In der vorigen Woche detonierte eine Bombe vor der Redaktion des Boulevardblatts „Galeria“ im Zentrum Sofia und richtete beträchtlichen Sachschaden an. In den letzten Wochen hatte „Galeria“ mehrere Telefonate des Direktors der Nationalen Zollagentur, Vanjo Tanov, veröffentlicht, zwei davon zwischen ihm und Ministerpräsident Boiko Borissov. Eine angekündigte Expertise über die Echtheit der Gesprächsinhalte hat die Staatsanwaltschaft bis heute nicht vorzulegen vermocht. So bleibt der aus ihnen hervorgehende Verdacht, Borissov und Innenminister Tsvetan Tsvetanov hätten Ermittlungen der Zollbehörde gegen steuerhinterziehende Unternehmen behindert, bis heute unwiderlegt. Am Donnerstag erklärte Tanovs ehemaliger Stellvertreter Antonii Strandschev, ein ranghoher Vertreter der Regierungspartei GERB habe umgerechnet rund zwei Millionen Euro entgegengenommen, um die Arbeit der Zollagentur zu torpedieren und ihn und Tanov ins Gefängnis zu bringen.

Mit einer Fülle umfangreicher Polizeioperationen hatte sich Innenminister Tsvetanov im letzten Jahr an die Spitze der Beliebtheitsskala bulgarischer Politiker katapultiert. Nun merkt der Bericht der EU-Kommission an, dass diese Verhaftungsaktionen bisher zu keinen greifbaren Ergebnissen in Form von Verurteilungen geführt hätten. Anfang November 2010 geriet Tsvetanov selber unter Korruptionsverdacht, als Oppositionspolitiker ihm vorwarfen, er habe mit Vermögen ungeklärter Herkunft Immobilien zu Billigpreisen erworben. Zu seiner Verteidigung gab der Minister zu verstehen, er habe ausländische Investoren zur kriminellen Szene in Bulgarien beraten, wollte indes seine Auftraggeber nicht nennen. Seit vier Monaten bereits prüft das bulgarische Finanzamt Tsvetanovs Vermögensverhältnisse.

Außer der Regierungspartei GERB und der sie unterstützenden nationalistischen Ataka fordern inzwischen alle im Parlament vertretenen Parteien Tsvetanovs Rücktritt. Seine Sympathiewerte in der bulgarischen Bevölkerung sind massiv eingebrochen, inzwischen gilt er sogar als Belastung für das Kabinett Borissov. Die Zustimmung zur Regierung ist aufgrund der nicht abreißenden Skandale nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Gallup um vier Prozent gesunken.

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