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Politik: Mario Frank: Genosse Zelle mit dem Killerinstikt

Lenin hat vor Stalin, Clara Zetkin vor Walter Ulbricht gewarnt. "Ein gütiges Schicksal", so wird sie von Ulbrichts jüngstem Biografen Mario Frank zitiert, "bewahre die KPD davor, dass dieser Mann mal an die Oberfläche gespült wird.

Lenin hat vor Stalin, Clara Zetkin vor Walter Ulbricht gewarnt. "Ein gütiges Schicksal", so wird sie von Ulbrichts jüngstem Biografen Mario Frank zitiert, "bewahre die KPD davor, dass dieser Mann mal an die Oberfläche gespült wird. Der Mann gefällt mir nicht. Schauen Sie in seine Augen, und Sie werden erkennen, wie verschlagen und unaufrichtig er ist."

Es war kein gütiges Schicksal, das die Geschichte der russischen und deutschen Kommunisten im 20. Jahrhundert lenkte, sondern ihre Generalsekretäre Josef Stalin und Walter Ulbricht. Wie es dahin kam, hätte eigentlich eine marxistische Antwort verdient, denn seit wann glauben Marxisten an Schicksal? Aber so viel ideologischen Vorlauf spart sich Mario Frank. Der ideologische Aufwand, den frühere Ulbricht-Biografen im Pro und Contra - von Johannes R. Becher und Stephan Hermlin bis zu Carola Stern und Gerhard Zwerenz - trieben, galt dem lebenden Ulbricht, der seine deutschen Zeitgenossen im wahrsten Sinne des Wortes polarisierte. Da tut der ideologische Abstand gut, den der Jurist Mario Frank zu dem Unhelden seiner Biografie besitzt.

Er begreift sie als "eine deutsche Biografie" und trifft damit schon ein Thema, das für Ulbrichts Widersacher Zeit seines Lebens ein blinder Punkt war: Für sie war das Parteimitglied Nr. 788624 der KPdSU als Verderber und Spalter Deutschlands so wenig Deutscher wie die DDR deutsch, demokratisch oder auch nur Republik. Dieselben Leute haben vermutlich Konrad Adenauer, den Ulbricht gern als "rheinischen Separatisten" denunzierte, für den Lordsdiegelbewahrer der deutschen Einheit gehalten. Über Ulbrichts gesamtdeutsche Orientierung gibt es indes weniger Zweifel als über die seines Gegenspielers Adenauer. An Initiativen Ulbrichts zur Wiedervereinigung habe es "nie gefehlt", konstatiert Frank, doch habe Ulbricht auch nach der deutschlandpolitischen Eiszeit der späten 50er Jahre immer wieder Brücken zu schlagen versucht, zuletzt 1968 mit Vorschlägen zum "Abschluss eines Vertrages über die Normalisierung der Beziehungen zwischen DDR und Bundesrepublik sowie die Schaffung bevollmächtigter Missionen." Das ging weiter als die Erklärung der Warschauer Paktstaaten von 1967, für die Breschnew verantwortlich war, die aber bis heute als "Ulbricht-Doktrin" gilt. "Zu Unrecht", meint Mario Frank.

Doktrinär war der Mann allerdings. Er konnte sich nach alter KPD-Manier eine Verständigung immer nur mit dem Ziel vorstellen, die Basis der anderen Seite gegen ihre politische Führung aufzuhetzen und "einen Kapitulanten nach dem anderen aus der Führung zu verdrängen". So hat er sich zur Bundestagswahl 1961 geäußert, so konnte man ihn in den Parteikämpfen der Weimarer Republik und als Volksfrontstrategen im französischen Exil vernehmen. Heinrich Mann hat darauf mit der Weigerung reagiert, am Gesamtausschuss der "Deutschen Volksfront" teilzunehmen, "solange U. als Hauptvertreter oder auch nur als ein Vertreter seiner Partei dort erscheinen darf." Ulbricht wurde abberufen, aber in seinem Parteiverfahren in Moskau freigesprochen.

Wendungen dieser Art finden sich immer wieder auf dem unaufhaltsamen Weg des "Genossen Zelle" - so sein Spitzname im heimischen Leipzig, wo er seinen Parteiaufstieg als Organisator von Betriebszellen der KPD begann. Es war der Einstieg in den Umbau der Partei nach leninistischen Prinzipien und das Vorspiel zu ihrer Stalinisierung. Er hat selbst Stalins Geheimdienstchef Berija überlebt, der ihn 1953 absetzen wollte und über ihn gesagt hat: "Ich habe noch nie im Leben einen solchen Idioten gesehen." Aber nicht einmal seine Fehler rund um den 17. Juni 1953 führten zu seinem Sturz, obwohl er zeitweise die Mehrheit im Politbüro verloren hatte. Seinen Gegnern in der Partei fehlte der politische "Killerinstinkt", den geschwächten Gegner niederzuschlagen, mit dem er selbst einen Widersacher nach dem anderen erledigte.

So makaber es klingt: Dieser Instinkt hat Ulbricht nicht einmal als obersten Herrn über Leben und Tod in der DDR verlassen. Er war es, der in den "Prozessen gegen fünf Agenten des RIAS" und "fünf Agenten der KgU" mit einem Federstrich Todesurteile verfügte, wo das für die Justiz zuständige ZK-Referat "nur" Zuchthausstrafen vorgeschlagen hatte. Wachsamkeit gegen den Klassenfeind war für ihn schon vor dem Mauerbau höchstes Gebot, als er 1952 ein verschärftes Grenzregime anordnete: "Und wir werden dafür sorgen, dass der betreffende Grenzpolizist extra ausgezeichnet wird, weil er getroffen hat." Persönlich belobigte er auf dem Parteitag der SED 1954 einen Werksschützer, der einen streunenden Hund zu Tode gequält und sich über seine Bestrafung als Tierquäler beim ZK beschwert hatte. Wenige Stunden vor dem Parteitag musste dieses Urteil vom Obersten Gericht der DDR mit der unglaublichen Begründung kassiert werden: "Da es zur perfiden Taktik des Klassenfeindes gehört, fremde Tiere zur Täuschung und Ablenkung der Wachsamkeit klassentreuer Hunde einzusetzen, schritt Genosse Ramm sofort zur Liquidierung des Feindes."

Was sonst im Herzen Walter Ulbrichts vorging, darüber weiß Mario Frank wenig Neues zu berichten: über seine zwei Ehen, über das traurige Schicksal seiner Adoptivtochter Beate, über seine Turnerleidenschaft, über seine Marotten als oberster Bauherr der DDR. Sein bester Vertrauter war sein Hausarzt, über Parteifreunde sagt sein Parteifeind Ernst Wollweber schlicht: "Niemand in der Partei war mit ihm befreundet." Mario Frank resümiert lapidar: "Das Bezeichnendste am Privatmann Ulbricht war, dass es ihn praktisch nicht gab." Dass ihn sein Nachfolger Erich Honecker zum 78. Geburtstag im "Neuen Deutschland" in Hauslatschen vorführen ließ, war Bosheit, kein typisches Indiz für "eine deutsche Biografie".

Hannes Schwenger

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