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Markus Söder

© Mike Wolff

Markus Söder, CSU: "Wir wissen auch was"

Markus Söder über Gesundheitspolitik, das Umweltgesetzbuch und die Eigenwilligkeit der CSU.

Das Interview wurde vor dem Rücktrittsangebot des CSU-Wirtschaftsministers Michael Glos geführt. Minister Markus Söder war bis zum späten Samstagabend für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.


Herr Söder, in der CDU gibt es heftiges Gegrummel. Viele fragen sich dort, warum die CSU glaubt, alles bestimmen zu können.

Das scheint mir eine subjektive Wahrnehmung zu sein. Wir haben uns für hohe Umweltstandards eingesetzt, wie wir sie in Bayern haben. Aber wir wollen keine Monsterbürokratie. Daher können wir um des Koalitionsfriedens willens keine falschen Entscheidungen mittragen.

Sie sprechen vom Umweltgesetzbuch, das sich auch viele CDU-Länder gewünscht und Sie verhindert haben …

Verhindert hat es Sigmar Gabriel mit seiner Sturheit. Er hat über drei Jahre Zeit gehabt, einen vernünftigen Kompromiss zu finden. Richtig ist, dass wir vier von fünf Büchern akzeptiert haben. Nur die Integrierte Vorhabengenehmigung, die zu erheblichen Rechtsunsicherheiten und einer überzogenen Bürokratie geführt hätte, haben wir abgelehnt. Am Ende hat der Bundesumweltminister sogar selbst den Vorschlag unterbreitet, wonach die Länder eine Öffnungsklausel für ein eigenes Landesrecht erhalten sollten. Das hätten wir gerne geprüft. Aber vor Abschluss der Verhandlungen hat er selbst das Umweltgesetzbuch für gescheitert erklärt. Das war kein guter Stil.

Mit Ihrer Einschätzung der Integrierten Vorhabengenehmigung als bürokratisches Monster stehen Sie ziemlich alleine da im Kreis ihrer Landeskollegen. 14 von 16 Umweltministern wollen diese Reform.

Nicht nur Bayern hatte erhebliche Bedenken. Auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen – in Person ihrer Ministerpräsidenten – wurde grundsätzliche Kritik laut.

Der NRW-Umweltminister hat das Vorhaben diese Woche erneut verteidigt.

Natürlich ist es akzeptabel, dass jedes Land seine eigene Meinung hat. Dieses Recht steht auch Bayern zu. Es ist eben ein Unterschied, ob man in Berlin theoretische Rechtsfragen diskutiert oder ob man es mit den Auswirkungen im Vollzug der Gesetze zu tun hat. Gabriel hat in unserem Gespräch mit theoretischen Planspielen argumentiert. Das ist für die Praxis nicht sehr zuverlässig.

Waren Sie denn überrascht vom Ärger des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger, der das Umweltgesetzbuch unterstützt und der CSU Blockade vorgeworfen hat?

In der Politik überrascht mich wenig. Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Dass ein CDU-Ministerpräsident sich für Sigmar Gabriel engagiert und sich FDP-Minister auf unsere Seite stellen, ist dabei eine interessante Randnotiz.

Die SPD-Spitze interpretierte Ihr Nein als Eröffnung des Wahlkampfes und fordert von Ihnen, das wenigstens zuzugeben ...

Das Thema hat dafür doch gar nicht das Potenzial. Das Umweltgesetzbuch als Wahlkampfschlager? Ich bitte Sie ...

Vielleicht ging es ja um den Nachweis, dass die SPD und ihr Umweltminister nichts zustande bringen? CSU-Chef Horst Seehofer hat das gleich so formuliert.

Es geht um die Sache. Gabriel hat versucht, sein Projekt zu retten. Dafür habe ich menschlich Verständnis. Wir sind aber nicht für Gabriel zuständig, sondern für das Wohl der Bayern. Die Menschen wollen sachgerechte Entscheidungen. In der Vergangenheit haben wir in der großen Koalition vielleicht zu oft parteitaktische Kompromisse schließen müssen. Aber in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssen wir aufpassen, dass die Sache im Vordergrund steht.

Das Wesen der Koalition ist doch der Kompromiss …

Keiner kann uns vorwerfen, in den vergangenen Jahren nicht kompromissfähig gewesen zu sein. Beim Investitionsprogramm haben wir den Einstieg in Steuersenkungen durchgesetzt – ein ganz wichtiges Signal. Dafür haben wir auch Wünsche der SPD akzeptiert. Und wenn wir nun beim Umweltgesetzbuch mit vier Teilen einverstanden sind und nur vor einem warnen, dann stellt sich doch die Frage, wer blockiert. Kompromisse nur um des Koalitionsfriedens willen, wären an dieser Stelle das falsche Signal.

Die Union hat immer verloren, wenn sie nicht geschlossen war. Wie verantwortlich ist die CSU für diese Geschlossenheit?

Wir sind zunächst für uns verantwortlich. Die CDU für sich. Wenn man die unterschiedlichen Stellungnahmen der CDU zum Umweltgesetzbuch verfolgt von Oettinger bis Wulff und Koch kann man der CSU wahrlich nicht vorwerfen, die Geschlossenheit der gesamten Union zu überfordern. Für uns zählt am Ende der gemeinsame Erfolg im Herbst. Wir brauchen in diesem Land endlich eine Mehrheit für bürgerliche Politik in der Wirtschaft, im Sozialen und in der Gesundheitspolitik. Das Schlimmste wäre eine Wiederauflage der großen Koalition.

In der Gesundheitspolitik hat die Union doch schon kräftig mitbestimmt – beim gemeinsam beschlossenen Gesundheitsfonds.

Man kann nicht im Ernst behaupten, dass die Situation im Gesundheitswesen befriedet ist. Wir haben überall tiefe Verunsicherung, ob in den Krankenhäusern, bei den Ärzten oder bei den Krankenkassen. Alle – auch die Patienten sind verunsichert. Der Fonds hat uns ein bürokratisch-zentralistisches System beschert, das sich zusammen mit der Honorarreform in der Praxis als untauglich erweist.

Das ist eigenartig. Ihr Parteichef Seehofer hat den Gesundheitsfonds erst noch im September über den grünen Klee gelobt.

Theoretisch bietet der Fonds tatsächlich Chancen. Aber in der Realität gibt es erhebliche Probleme bei der Umsetzung und der Ausgestaltung in den medizinischen Praxen. Durch die zentralistische Honorarreform profitieren vor allem die Ärzte in den neuen Bundesländern. Viele westliche Bundesländer mit ihrer hohen Versorgungsdichte gehören eher zu den Verlierern.

Die CSU will für die Wahl nun ein eigenes Gesundheitskonzept. Warum? Die Union hat doch bereits ihr Kopfpauschalenmodell?

Wir brauchen ein bürgerlich-föderales Konzept, das sich am Wohl der Patienten orientiert. Die SPD hat mit der Bürgerversicherung ein zentralistisches Konzept. Die Union hat dagegen leider in der Gesundheitspolitik beim Ringen um eine gemeinsame Lösung an Strahlkraft verloren. Die Kopfpauschale war eine Sackgasse, die keine Akzeptanz beim Bürger fand.

Was schlagen Sie vor?

Wir müssen raus aus dem starren Koalitionsdenken. Wir dürfen nicht nur die Schere im Kopf haben und uns fragen: Was könnte mit Ulla Schmidt durchsetzbar sein? Die Ministerin arbeitet daran, ihr neosozialistisches Konzept Stück für Stück durchzusetzen. Wir dagegen haben in den vergangenen Jahren viel Kraft verbraucht, das Schlimms te zu verhindern. Das Schlimmste zu verhindern, heißt aber nicht, das Beste zu erreichen. Wenn wir als Union in der Gesundheitspolitik wieder verstärkt Vertrauen bei Patienten und Ärzten gewinnen wollen, müssen wir eine ernsthafte Alternative bieten. Die SPD geht in Richtung Staatsmedizin. Die Uni on muss sich am sozialen Wohl der Patienten und Ärzte orientieren.

Was also muss die Union anders machen?

Wir dürfen uns nicht nur auf die Einnahmeseite konzentrieren. Bisher haben wir nur darüber diskutiert, wo das Geld herkommt. Entscheidend ist aber, wohin es fließt. Jetzt ist mehr Geld im System und trotzdem sind alle verunsichert und verärgert. Hier müssen wir ansetzen. Wir wollen den Arzt als Freiberufler stärken und nicht zum Angestellten degradieren wie es die SPD gerne hätte. Wir wollen wieder mehr regionale Verantwortung statt eines bürokratischen Zentralismus bis ins Detail. Wir brauchen ein pluralistisches Krankenkassensystem statt einer Einheitskasse, die dem Bundesgesundheitsministerium angegliedert ist. Das sind die Themen, über die wir reden müssen.

Der Gesundheitsfonds ist stark mit dem Namen der Kanzlerin verbunden. Glauben Sie, dass die Union im Wahlkampf punkten kann, wenn sie sich ausgerechnet beim sensiblen Thema Gesundheit zerstreitet?

Als Union sind wir bisher bei den harten Themen stark. In der Wirtschafts-, der Finanzpolitik oder der inneren Sicherheit. Bei Fragen der Gesellschaftspolitik aber tun wir uns schwer. Die Gesundheitsbranche ist die größte in Deutschland. Sie ist globalisierungsfest, rezessionssicher und in unserer älter werdenden Gesellschaft von ganz zentraler Bedeutung. Für Menschen in der zweiten Lebenshälfte ist die Gesundheitspolitik so entscheidend wie die Bildungspolitik für die Jüngeren. Und dabei geht es nicht nur um Umverteilungsfragen. Wir müssen eigene Ideen haben. Für unsere Gesundheitspolitik brauchen wir ein bürgerliches, soziales und föderales Konzept.

Sie unterstellen Ihrer großen Schwester, dass sie dieses Konzept nicht hat. Und dass es die CSU wieder mal besser weiß …

Nein, nur dass wir auch was wissen. Jeder spürt doch, dass das Gesundheitssystem einer Kernsanierung bedarf. Alles andere geht zu Lasten der Patienten.

Dennoch handelt es sich um eine Kampfansage. Sie nehmen neuen Streit in Kauf.

Wir wollen keinen Streit in der Union, wir wollen eine Position für die Union. Und die brauchen wir ganz dringend.

Ist am Ende nicht alles eine Frage des Geldes? Die Krankenkassen sagen, der Fonds müsste besser ausgestattet sein.

Insgesamt ist genug Geld da. Die Beiträge wurden erhöht. Das Problem ist die bürokratische und zentralistische Verteilung. Die Partner im Gesundheitssystem werden immer mehr gegeneinander in Stellung gebracht. Offiziell gibt es eine Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen. Mit über tausend Weisungen des Bundesgesundheitsministeriums an den Bewertungsausschuss von Ärzten und Kassen wird sie jedoch konterkariert. Die selbstständigen Fachärzte werden durch die massive Ausweitung der medizinischen Versorgungszentren in ihrer Existenz gefährdet. Wenn wir diesen Trend nicht stoppen, begeben wir uns immer mehr in die Hände von internationalen Medizin- Heuschrecken. Am Ende entsteht eine Fließbandmedizin. Keiner will Medizin- Supermärkte, in denen der Patient nur noch als Nummer behandelt wird.

Im bayerischen Wahlkampf sind Sie den niedergelassenen Medizinern auch schon entgegengekommen. Will sich die CSU als neue Ärztelobby profilieren?

Wir sind Anwalt der Patienten. Aber Spitzenmedizin für alle, unabhängig von Einkommen und Herkunft, gibt es nur mit einer hochqualifizierten Ärzteschaft. Unsere Ärzte müssen dabei auch angemessen honoriert werden. Bereits jetzt wandern schon junge Ärzte ins Ausland ab, weil sie dort bessere Perspektiven sehen. Das gefährdet die Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Die Ärzte haben drei Milliarden Euro mehr bekommen, jetzt jammern sie schon wieder. Haben Sie dafür wirklich noch Verständnis?

Tatsächlich gibt es mehr Geld. Aber die Verteilung ist ungerecht. Manche Gruppen, wie die Laborärzte oder Pathologen, haben Honorarsprünge um 35 Prozent nach oben gemacht. Gynäkologen, Orthopäden oder Augenärzte müssen nach der Honorarverordnung mit erheblichen Einbußen rechnen.

Woran liegt das?

Zum einen am zentralistischen Einheitswert. Zum andern an einem völlig intransparenten und bürokratischen System. Langfristig brauchen wir für die Ärztehonorare klar nachvollziehbare Regelungen, einsehbar für Mediziner wie Patienten. Sonst erhalten wir eine völlig falsche Lenkungswirkung. Die jetzige ungerechte Honorarverordnung muss aufgehoben werden.

Gesundheit, Umwelt, Steuern, Pendlerpauschale: Wenn die CSU so vieles besser weiß als die CDU, weshalb ist sie dann bei der letzten Wahl so abgestraft worden?

Letztlich haben wir unsere Bürger durch frühere Reformvorhaben überfordert. Natürlich hat auch mangelnde Geschlossenheit nicht gerade geholfen. Entscheidend ist jedoch, dass es uns zu wenig gelungen ist, gesellschaftspolitische Perspektiven aufzuzeigen. Das muss 2009 besser werden. Wir brauchen bei allen Lebensthemen, von der Gentechnik über den Umweltschutz bis zur Gesundheitspolitik ambitionierte Ideen. Das dürfen wir nicht anderen überlassen.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum, Dagmar Dehmer und Rainer Woratschka.

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