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Die Proteste haben auf die Hauptstadt Rabat übergegriffen.

© AFP

Marokko: Rebellion der Berber

In Marokkos Norden demonstrieren Tausende gegen die Monarchie. Es sind die größten Unruhen seit dem „arabischen Frühling“ 2011.

„Wir sind alle Zefzafi“, rufen die Menschen. Und: „Lasst die Gefangenen frei.“ Einige haben ihre Hände zusammengebunden aus Solidarität mit jenen Dutzenden Demonstranten, die in den letzten Tagen eingekerkert wurden. Andere haben ein Pflaster über den Mund geklebt und wollen so ausdrücken, dass in ihren Augen Demokratie und Meinungsfreiheit in Marokko unterdrückt werden.

Seit die Polizei vor einer Woche in der nordmarokkanischen Küstenstadt Al-Hoceima die populäre Führungsfigur der Protestbewegung Hirak festnahm, gehen dort und in den Nachbarorten jeden Abend tausende Bürger auf die Straße und rufen „Freiheit für Zefzafi“. Der 39-jährige Nasser Zefzafi war in den letzten Monaten, in denen die Protestbewegung gegen die Monarchie erstarkte, mit seinen Reden gegen die Herrschaft von König Mohammed und für mehr soziale wie wirtschaftliche Hilfe zur Stimme der Opposition geworden.

Die ganze Region rund um Al-Hoceima, zu der auch das Rif-Gebirge gehört, gleicht derzeit einem Pulverfass. In diesem Landesteil wohnen überwiegend Berber, die Urbevölkerung Marokkos, die sich von der Regierung in der Hauptstadt Rabat vernachlässigt fühlen. Sie hatten sich in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrfach gegen die Herrschenden erhoben. Die Berberaufstände 1958 und 1984 waren gewaltsam unterdrückt worden. Auch durch die offizielle Arabisierungspolitik des Königreichs fühlen sich Berber bis heute diskriminiert.

Epizentrum der Proteste

Auch während des „arabischen Frühlings“, der 2011 von Tunesien auf Marokko übersprang, lag das Epizentrum der Proteste in der Berberregion. Schon damals rief die Bevölkerung „Schluss mit der Diktatur“. In Straßenschlachten mit der Polizei gab es damals mehrere Tote und viele Verletzte. Vor sechs Jahren gelang es König Mohammed mit Reformzusagen, der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dennoch kommt es immer wieder zu Unruhen.

Nun schickte Mohammed, der immer noch die Fäden in Politik und Wirtschaft zieht, starke Polizeikräfte nach Al-Hoceima. Die Bevölkerung wehrt sich mit einem Generalstreik. Auf Bildern aus den Städten Al-Hoceima und Imzouren sieht man, wie Demonstranten in den Straßen Barrikaden errichten, Steine fliegen auf Polizisten. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen beklagt, dass Berichterstatter, die über die Proteste informieren wollen, schikaniert und verfolgt werden.

Die Kundgebungen in der Berberregion sind die größten Demonstrationen in Marokko seit den Unruhen im Jahr 2011. In den letzten Tagen gab es auch Kundgebungen in den marokkanischen Städten Rabat, Casablanca und Tanger, wo sich die Menschen mit den Forderungen der Berber solidarisierten. Etwa die Hälfte der marokkanischen Bevölkerung hat Berberwurzeln, die andere Hälfte ist arabischer Abstammung. Nun soll dem Berbervolkshelden Nasser Zefzafi wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“ im Schnellverfahren der Prozess gemacht werden. Sicherheitshalber soll er vor einer Strafkammer im 560 Kilometer entfernten Casablanca eröffnet werden. Zur Beruhigung der Lage wird dieses fragwürdige Vorgehen vermutlich nicht beitragen, meinten Beobachter.

„Die ganze Region will Freiheit, Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit“, sagte Cilia Ziani dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira. Die couragierte junge Frau ist seit der Verhaftung Zefzafis eine der Führungspersönlichkeiten der Protestbewegung Hirak. Die aktuelle Situation der Benachteiligung und Unterdrückung der Region beschrieb sie so: „Der Rif blutet aus.“ Und sie fügt hinzu: „Wir werden weiter demonstrieren, bis unsere Führer wieder frei sind.“

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