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Die Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus sind zurzeit gefährdet.

© dpa

Martenstein über das Chaos in der Berliner Politik: Wer braucht schon Wahlen?

Normalerweise kann man eine Regierung abwählen, die Mist baut. In Berlin geht das irgendwie nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Ein Berliner Senat ohne SPD ist wie Überlichtgeschwindigkeit: Ein interessantes Gedankenexperiment, das aber allen Naturgesetzen widerspricht.

schreibt NutzerIn DonOlafio

Michael Müller sagt: „Die Wahlen sind gewährleistet!“ Dieser Satz könnte eines Tages so unvergesslich sein wie „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“ oder „Ich hatte nie Sex mit Frau Lewinsky“.

In der Unfähigkeitsmetropole kriegen sie womöglich nicht mal Wahlen hin – so könnte man sagen. Aber das trifft es nicht. Natürlich sind nicht alle Berliner Politiker unfähig. Manches klappt ja auch. Die parteiinternen Intrigen und Machtkämpfe funktionieren bestens, die Versorgung von mäßig kompetenten Gefolgsleuten mit wichtigen Posten läuft wie am Schnürchen. Die Abwehr von kritischen Fragen und von Systemfremden, die von außen kommen, ist besser organisiert als die Viererkette der deutschen Nationalmannschaft. Die Berliner CDU hätte Wolfgang Schäuble als Spitzenkandidaten bekommen können, aber da nimmt man doch lieber einen von uns, der eh gern reist, oder? Wenn es darum geht, Wahlkreise so zuzuschneiden, dass die eigene Partei garantiert das Direktmandat bekommt, können sie in Berlin schwierigste organisatorische Aufgaben ruckzuck bewältigen.

Berlin ist großartig, das meine ich nicht ironisch. Viele wollen hier leben, auch ich. In etlichen Zeitungsartikeln der letzten Zeit wurde dieser Gegensatz beschrieben – einerseits die attraktive, dynamische Metropole, weltweit ein Traumziel. Andererseits die Berliner Politik, eine „Sumpflandschaft“, wie es in dieser Zeitung hieß. Wie kommt das?

Ich möchte ein Loblied auf das Leistungsprinzip singen. Das Leistungsprinzip ist keineswegs menschenfeindlich, im Gegenteil. Wohin ein Gemeinwesen steuert, in dem das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt ist, sieht man an Berlin. Wenn in einem System die Versager nicht bestraft werden und die Tüchtigen nicht belohnt, dann leiden am Ende alle. Kein einziges Berliner Startup-Unternehmen hätte am Markt eine Chance, wenn es so funktionieren würde wie die Berliner Lokalpolitik. Wer wird hier gefeuert? Wer zahlt hier jemals für seine Fehler die Zeche?

Normalerweise kann man eine Regierung abwählen, die Mist baut. In Berlin geht das irgendwie nicht. Nach der Wahl sucht sich die SPD traditionell einen Partner, es stehen ja fast alle bereit, jeder kommt mal dran, und dann geht es im Schluri-Schlaffi-Stil weiter. Es gibt hier nicht zwei Lager mit zwei Konzepten, Regierung und Opposition, Grundlage jeder Demokratie, soweit ich weiß. Stattdessen gibt es die zwei Parteien, die regieren und zwei relativ ähnliche, Grüne und Linke, die auf der Ersatzbank sitzen und bei Bedarf eingewechselt werden. Wenn die CDU stärkste Partei wird, ist der Chef seltener im Büro, das wäre dann neu. Es wirkt wie eine Art Einheitspartei. Braucht man da überhaupt Wahlen?

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