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Die DDR war ein Unrechtsstaat. Für viele ist das keine Frage - für viele in der Linkspartei schon.

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Martensteins Kolumne: Der DDR-Unrechtsstaat als ganz persönliche Erfahrung

Die Linkspartei-Politikerin Dagmar Enkelmann findet "Unrechtsstaat" als Bezeichnung für die DDR eine "extrem pauschale Wertung". Harald Martenstein findet die Neigung zur Relativierung extrem bizarr. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Bei vielen in der Linkspartei herrscht, 25 Jahre nach dem Ende der DDR, Empörung. Das Wort „Unrechtsstaat“, bezogen auf die DDR, würdige Menschen herab, die in diesem Staat gelebt haben. Das Wort setze die DDR mit der NS-Diktatur gleich. Zwar treffe es zu, so Dagmar Enkelmann, dass Oppositionelle verhaftet wurden. Das seien aber lediglich „persönliche Erfahrungen“, die nicht ausreichen für die „extrem pauschale Wertung“.
1992 erschien im „Spiegel“ ein Bericht, der auf mehreren Zeugenaussagen beruhte. In der größten Frauenklinik der DDR, aber auch in anderen Krankenhäusern wurden Neugeborene, die weniger als 1000 Gramm Gewicht hatten, grundsätzlich zum Sterben beiseitegelegt oder in einem Eimer mit kaltem Wasser ersäuft. Eine Hebamme berichtete, dass sie an einem strampelnden und schreienden Kind ein Pappschild mit der Aufschrift „Totgeburt“ befestigen musste, ihrer Ansicht nach habe das Kind durchaus eine Chance gehabt. Auf diese Weise, durch systematischen Mord, frisierte die DDR ihre Statistik. Bei der Säuglingssterblichkeit stand sie gut da, weil Totgeburten in diese Statistik nicht eingehen. Nicht alle Ärzte und Krankenhäuser hielten sich daran. Auch das, Frau Enkelmann, ist natürlich nur eine persönliche Erfahrung dieser Hebamme.

Schuld tragen nur diejenigen, die an diesen Taten mitgewirkt haben

Die Nazidiktatur war nicht der einzige Unrechtsstaat der Geschichte, nur ein besonders extremer. Man könnte Dutzende Unrechtsstaaten aufzählen – Uganda unter Idi Amin, Chile unter Pinochet, Spanien unter Franco, Kuba, sie sind verschieden, manche sind besonders radikal, andere bieten Nischen. Gemeinsam ist allen Diktaturen, dass die Interessen der Staatsführung immer schwerer wiegen als die Rechte des Individuums. Es gibt kein unabhängiges Gericht, vor dem sich der Einzelne gegen die Allmacht des Staates wehren und sein Recht bekommen könnte. Die Mütter der ermordeten Kinder konnten nichts tun. Der Tod ihrer Kinder war eine „persönliche Erfahrung“. Wer setzt hier eigentlich wen herab?
Können alle Spanier, die in Francos Zeit gelebt haben, etwas für die Taten dieses Regimes? Natürlich nicht. Schuld ist immer etwas Individuelles. Schuld tragen nur diejenigen, die an diesen Taten mitgewirkt haben, und das sind in der Linkspartei nicht wenige. Die Linkspartei aber versucht, alle ehemaligen DDR-Bürger für alle Verbrechen in Mithaftung zu nehmen. Alle fühlen sich angeblich „herabgesetzt“. Es war ihr Land! Es gab schließlich in den Wahlen 99 Prozent Zustimmung! Aber die Wahlen waren gefälscht, und wer das Land verlassen wollte, musste mit Demütigungen, Haft oder dem Tod rechnen. Gefängnis und Tod aber sind natürlich nur persönliche Erfahrungen. Soll dieser „Humanismus“ in Deutschland wieder regieren?

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