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Politik: Massengrab Mittelmeer

Flüchtlinge zahlen einige tausend Euro für die Passage nach Europa – für viele wird es eine Fahrt in den Tod

Die meisten Flüchtlingsdramen am Mittelmeer spielen sich ohne Zeugen und auf hoher See ab: Täglich starten von Tunesien, Libyen, Algerien und Marokko kleine wackelige Holz- oder Gummiboote mit 50 oder auch 100 Armutsflüchtlingen aus Afrika an Bord. Kurs: Südspanien oder Süditalien.

Tausende kommen jedes Jahr erschöpft an den Küsten an. Und Tausende, so schätzen Hilfsorganisationen, sterben – ertrinken, verhungern, verdursten auf der lebensgefährlichen Fahrt. Nur wenige haben das Glück, aus Seenot gerettet zu werden. Wie die 37 Afrikaner, die von dem deutschen Schiff „Cap Anamur“ geborgen wurden. Oder jene 13 halb verhungerten Geschöpfe, die von italienischen Fischern im vergangenen Jahr in einer Nussschale gesichtet wurden, zusammen mit 13 Leichen. Weitere 50 Passagiere dieses Flüchtlingsbootes waren zuvor gestorben und über Bord geworfen worden.

„Das Mittelmeer ist das größte Massengrab Europas“, berichten Flüchtlingsorganisationen in Spanien. Wie viele tausend „Boat people“ in den Fluten umkommen, weiß niemand. Nur wenige Leichen werden angespült. Die Küstenwacht weiß nur, wie viele Illegale auf See oder an den Stränden lebend aufgegriffen werden. Und dass es jedes Jahr mehr werden: Knapp 20 000 Boots-Immigranten wurden 2003 an Spaniens Küste erwischt. Mindestens genauso viele, wird geschätzt, gehen unbemerkt an Land.

Mit großer Sorge beobachten westliche Geheimdienste die wachsenden Flüchtlingsströme, die sich quer durch Afrika auf eine oft jahrelange Odyssee Richtung Europa begeben. Hunderttausende Menschen warten an der nordafrikanischen Küste auf eine Chance zur Überfahrt. Zwischen 500 und einigen tausend Euro kostet die waghalsige Mittelmeerpassage, die von der nordafrikanischen und südeuropäischen Menschenmafia organisiert wird, Schmiergeld für Nordafrikas Sicherheitskräfte inbegriffen.

Spanien und Italien sind wegen dieser dramatischen Massenwanderung zu den wichtigsten europäischen Einwanderungsländern geworden. Daran konnte auch die „Panzerung" der Küsten mit Radar, Kriegsschiffen, Aufklärungsflugzeugen, Wachtürmen und viel EU-Geld bisher wenig ändern.

Ralph Schulze[Madrid]

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