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Mecklenburg-Vorpommern: Zwischen Krise und Kraftwerk

Erwin Sellering übernahm das SPD/CDU-Kabinett in Schwerin in schweren Zeiten – eine erste Bilanz.

Seit der meist lässig lächelnde Regierungschef Erwin Sellering vor reichlich 100 Tagen Harald Ringstorff an der Spitze der SPD/CDU-Koalition abgelöst hat, herrscht in der Schweriner Staatskanzlei ein lockererer Ton als beim altgedienten „Landesvater“. Dabei hat das Land inzwischen viel mehr Probleme am Hals als zu Ringstorffs Zeiten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Holzindustrie in Wismar hart getroffen. Für die Werften an der Ostsee musste die Landesregierung ein 60-Millionen-Euro- Bürgschaftspaket schnüren. Eine Auftragsflaute scheint vorhersehbar.

Die Aussichten für Mecklenburg-Vorpommern, die rote Laterne im Länderranking der Arbeitslosenstatistik loszuwerden, sind düster. Die Konjunkturpakete des Bundes stoßen im Land auf Skepsis. Manche Kommunen können nicht den Eigenanteil aufbringen, um sich den Geldsegen aus Berlin abzuholen. Fraglich ist, ob Schwerin das hochgesteckte Ziel erreicht, den nächsten Haushalt ein weiteres Mal ohne Neuverschuldung aufstellen zu können. Auch seine zum Regierungsstart geäußerte Hoffnung, dass auf Bundesebene die Renten in Ost und West bald angeglichen werden, kann Sellering begraben.

Dennoch bleiben sich Sozial- und Christdemokraten in Schwerin weitgehend einig, was die Schwerpunkte der nächsten Regierungsjahre angeht. Mecklenburg-Vorpommern soll zum „kinderfreundlichsten“ Bundesland werden und vor allem eine Kreisgebietsreform bekommen, nach der von 18 Landkreisen und kreisfreien Städten nur noch sechs übrig bleiben. Ein weiter gehendes Modell, das die rot-rote Vorgängerregierung verabschiedet hatte, wurde vom Verfassungsgericht gekippt. Geeint sehen sich SPD und CDU auch im Kampf gegen die NPD, die seit 2006 mit sechs Abgeordneten im Landtag sitzt.

Den meisten Zündstoff für die Regierungsfraktionen bietet der Bau eines auch in der Bevölkerung höchst umstrittenen Steinkohlekraftwerks am Greifswalder Bodden. Es wäre das zweitgrößte in Deutschland. Ringstorff sah in dem 1600-Megawatt-Meiler des dänischen Dong-Konzerns einen wirtschaftlichen „Urknall“ für Vorpommern. Sellering war schon immer skeptisch, auch seine Partei geht inzwischen zum Ärger des Koalitionspartners auf Distanz. Die Kritiker fürchten durch das Kühlwasser Algenwuchs und Wassererwärmung, wodurch der Tourismus Schaden nehmen könnte. Jürgen Seidel, Wirtschaftsminister und CDU-Landeschef, verweist hingegen darauf, dass man sich gerade angesichts des jüngsten russisch-ukrainischen Gasstreits nicht von einer Energiequelle abhängig machen dürfe.

Der ehemalige Arbeitsminister Helmut Holter von der Linkspartei sieht die große Koalition bereits in der Krise. Die SPD nähere sich wieder einem rot-roten Kurs. Die Linkspartei stehe bereit, so Holter. Darauf wird sich Sellering vor der Landtagswahl 2011 kaum einlassen. Eine SPD/Linke-Koalition hätte nur eine Stimme Mehrheit im Landtag. Danach aber ist Sellering für neue Konstellationen offen. Wären jetzt schon Wahlen, könnte er auch mit der Linkspartei Regierungschef bleiben. Doch seine persönlichen Werte sind dürftig: Nur knapp die Hälfte seiner potenziellen Wähler glaubt, dass er „ein starker Ministerpräsident“ wird. Und selbst ein Großteil seiner Parteifreunde wünscht sich ein „Landeskind“ als Regierungschef statt eines zugezogenen Westfalen.

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