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Politik: Mehr als 40 Opfer bei Anschlag in Russland

Bombe explodiert in Pendlerzug im Nordkaukasus / Regierung sieht Tschetschenen als Drahtzieher

Moskau. Zwei Tage vor der Parlamentswahl in Russland sind bei einem Selbstmordattentat auf einen Pendlerzug im Süden des Landes am Freitag mindestens 40 Menschen getötet und über 160 Menschen verletzt worden. Russlands Präsident Wladimir Putin verurteilte den Anschlag als Destabilisierungsversuch kurz vor der Wahl. „Diese Verbrecher werden keinen Erfolg haben“, sagte er.

Der verwendete Sprengsatz war besonders heimtückisch. Um den „Wirkungsgrad“ zu steigern, waren den sechs bis zehn Kilo Plastiksprengstoff Schrauben beigemischt worden. Mit fatalem Ergebnis: Um 7 Uhr 42 Ortszeit, kurz vor der Einfahrt des Pendlerzugs in den Bahnhof von Jessentuki im Nordkaukasus an der Grenze zu Tschetschenien, detonierte der Sprengsatz und riss den zweiten Wagen auseinander.

Nach Angaben des Chefs des Geheimdienstes FSB, Nikolai Patruschow, waren es vier Selbstmordattentäter, die in dem Vorortszug zuschlugen: drei Frauen und ein Mann. Zwei der Frauen seien vor der Explosion aus dem Zug gesprungen. Eine weitere sei verletzt worden und werde vermutlich nicht überleben. Der tot aufgefundene Mann sei der eigentliche Attentäter gewesen; er habe den vermutlich in einer Tasche versteckten Sprengsatz bei sich gehabt. Zudem hatte er zwei Granaten an seinen Beinen befestigt.

Jessentuki gehört wie die meisten Haltepunkte auf der Strecke Kislowodsk-Mineralnyje Wody zum nordkaukasischen Bäderdreieck, wo Tausende Menschen aus der gesamten Region Stawropol arbeiten. Der Zug war daher voll besetzt mit Pendlern; darunter waren auch viele Studenten, die nach Pjatigorsk unterwegs waren. Dort befindet sich die größte Universität der Region.

Im September hatte es auf der gleichen Strecke, fast zum gleichen Zeitpunkt und am gleichen Ort, einen ähnlichen Anschlag gegeben. Die Region Stawropol grenzt an Tschetschenien und eben dort werden auch die Hintermänner des Anschlags vermutet, die Präsident Putin offenbar pünktlich zu den Duma- Wahlen am Sonntag klar machen wollten, dass die Republik trotz Verfassungsreferendum und Wahl eines Präsidenten im Oktober von Frieden und Stabilität nach wie vor weit entfernt ist.

Schlimmer noch: Bei dem Scheinfriedensprozess, mit dem der Kreml im Vorfeld der Wahlen den wachsenden Unmut über die Misserfolge bei der Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in der abtrünnigen Republik dämpfen wollte, blieben die Separatisten außen vor. Obwohl sie eine ernst zu nehmende Größe darstellen und von nicht geringen Teilen der Bevölkerung unterstützt werden. Dadurch sehen sie sich jeder Möglichkeit beraubt, ihre Forderungen mit legalen Mitteln durchzusetzen, und setzen verstärkt auf Gewalt in Zusammenarbeit mit internationalen Terrornetzwerken.

Dafür spricht vor allem, dass bei den letzten Anschlägen ausschließlich Selbstmordattentäter, in den meisten Fällen Frauen, zum Einsatz kamen. Diese Angriffstechnik dürfte aus dem Arsenal radikaler Islamisten im Nahen Osten stammen. Bislang war sie im Nordkaukasus nicht üblich, weil sie sowohl gegen den dortigen, traditionell eher toleranten Islam als auch das Adat, das Gewohnheitsrecht der Kaukasier, verstößt.

Russische Medien vermuten, dass der tschetschenische Rebellenführer Schamil Bassajew der Drahtzieher ist. Auf sein Konto gehen fast alle spektakulären Anschläge der letzten Jahre – unter anderem die Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater „Nord- Ost“ im Oktober 2002. Versuche, ihn durch Bestechung seiner Umgebung zu neutralisieren, hatten bisher keinen Erfolg, heißt es in russischen Geheimdienstkreisen. Innenminister Boris Grislow kündigte an, die Täter zu verfolgen. „Wir werden diejenigen finden, die das getan haben. Der Boden wird ihnen unter den Füßen brennen. Diese Tiere werden sich niemals sicher fühlen.“

Der Anschlag, sagte der Vizegouverneur für den russischen Süden, Alexander Korobejnikow, sei Teil einer ganzen Serie vor Terrorakten, die in Inguschetien und anderen nordkaukasischen Teilrepubliken geplant waren. In der gesamten Region wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, vor allem auf Flughäfen, entlang der Fernverkehrsstraßen und Eisenbahnlinien sowie vor den Wahllokalen.

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