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Politik: Mehr als eine Spielecke

Erziehungswissenschaftler kritisiert mangelhafte Qualität in Kindergärten

Berlin - Der Berliner Erziehungswissenschaftler Wolfgang Tietze hat davor gewarnt, sich bei der geplanten Verdreifachung von Betreuungsplätzen für Kleinkinder mit Billiglösungen zu begnügen. Man könne bestehende Kindergärten für Drei- bis Sechsjährige nicht einfach auch für Zweijährige öffnen, ohne das Personal dafür zu schulen und Rahmenbedingungen wie Gruppengrößen zu verändern, sagte Tietze dem Tagesspiegel. „Die Aufnahme von unter Dreijährigen erfordert nicht bloß eine Spielecke mehr, die gesamte Organisation muss darauf Rücksicht nehmen.“ Ohnehin müsse die Betreuungsqualität in deutschen Kindergärten dringend verbessert werden. „Ich sehe derzeit nicht, dass diese Notwendigkeit mit derselben Vehemenz politisch vertreten wird“, sagte Tietze, der auch Mitautor des 12. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung ist.

Die 90er Jahre hätten gezeigt, wie man es nicht machen dürfe. Damals hätte man den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz verwirklichen müssen. Die nötigen Plätze habe man aber nicht durch zusätzliche Investitionen geschaffen, sondern maßgeblich durch die Absenkung von Standards im bestehenden System. Die heutigen Qualitätsmängel seien eine Folge davon. „Jede Standardabsenkung hat einen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern.“

Qualitätsverbesserung aber hat ihren Preis. Die Sachverständigenkommission zum Kinder- und Jugendbericht hat die Kosten einiger Maßnahmen hochgerechnet. Wenn in jeder Kindertageseinrichtung nur eine Person, etwa die Leiterin, akademisch geschult wäre und entsprechend bezahlt würde, verschlänge dies pro Jahr zusätzlich eine Viertelmilliarde Euro. Und würde sich die Zahl der Kinder, die auf eine Erzieherin kommen, an internationalen Standards und Empfehlungen orientieren, müsste man jährlich zwei Milliarden Euro mehr ausgeben. Für die bestehenden Kitas wohlgemerkt.

Allerdings geht es laut Tietze in einem ersten Schritt günstiger. „Auch unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen sind die Qualitätspotenziale, die wir haben, nicht ausgeschöpft.“ Durch systematische Fortbildung und Qualitätsentwicklung könne man schnell deutlich bessere Qualität erzielen. Mittel- und langfristig jedoch müssten die Erzieherausbildung von Grund auf verbessert, kleinere Gruppen geschaffen und mehr Zeit für Vor- und Nachbereitung gewährt werden. Das reiche aber nicht aus, warnte Tietze. „Ich kann auch in einer kleineren Gruppe die traditionelle, wenig berauschende Pädagogik fortsetzen.“ Derzeit gibt es nach Kenntnis des FU-Professors in Deutschland nur eine geringe Zahl von Einrichtungen mit guter bis sehr guter Qualität. Etwa zwei Drittel lägen im mittleren Bereich. Und es gebe auch „Einrichtungen, wo man sagen muss, wenn da nicht augenblicklich Nachhaltiges passiert, gehören die zugemacht“.

Die Qualitätsunterschiede machten sich weder an Ländergrenzen noch an bestimmten Trägern fest. Ostdeutsche Einrichtungen seien nur dahingehend besser, dass deren Erzieherinnen mehr Erfahrung mit unter Dreijährigen hätten. Dafür seien im Osten die Gruppen größer. Der durchschnittliche Erzieher-Kind-Schlüssel über alle Gruppenarten hinweg liege dort bei 1:13,4; im Westen bei 1:12,6. „Das Qualitätsproblem ist ein gesamtdeutsches“, sagte Tietze. Der Osten dürfe bei der dringend nötigen Qualitätsinitiative also „in keiner Weise vergessen werden“.

Tietze vermisst auch ein „Qualitätsmonitoring.“ Nicht nur Eltern, auch Öffentlichkeit und Fachleuten fehlten jegliche Kriterien für gute Kitas. Deshalb hat er welche entwickelt. 2005 entwarf er mit Kollegen das Deutsche Kindergarten-Gütesiegel. Dem zugrundeliegenden Test unterzogen sich bereits mehr als 200 Einrichtungen. Geprüft wird etwa, ob jedes Kind nach seinen Interessen und Fähigkeiten individuelle Anregungen erhält. Ob Kinder bei der Anschaffung von Spielzeug mitbestimmen dürfen, ob die Erzieher ihre Entwicklung dokumentieren und ob es individuelle Elterngespräche gibt und ob die Kinder in verschiedenen Bildungsbereichen gefördert werden. Immerhin 40 Prozent bestanden den Test im ersten Anlauf. Aber teilgenommen hatten im Regelfall nur Kindertagesstätten, die bereits Wert auf gute Pädagogik legten – und damit auch werben wollten.

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