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Politik: Mehr entscheiden dürfen

In seltener Einmütigkeit versichern die Regierenden in Bund und Ländern, dass wenig in Deutschland so nötig ist wie eine ordentliche Föderalismusreform. Zu ineffizient, zu verschlungen, zu wenig transparent sei der politische Prozess mittlerweile.

In seltener Einmütigkeit versichern die Regierenden in Bund und Ländern, dass wenig in Deutschland so nötig ist wie eine ordentliche Föderalismusreform. Zu ineffizient, zu verschlungen, zu wenig transparent sei der politische Prozess mittlerweile. Der Tatendrang ist da. Nur fehlen die Taten. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat mittlerweile eine Kommission eingesetzt. Konkrete Ergebnisse liegen noch nicht vor. Das ist heikel: Denn deutsche Politiker rühmen gerne das deutsche Modell des Föderalismus als Vorbild für die Quasi-Verfassung, die der EU-Konvent derzeit für Europa ausarbeitet. Doch in Deutschland selbst wird der Ruf nach Generalüberholung immer lauter.

Das Schlagwort lautet: Entflechtung. Die Väter des Grundgesetzes gingen davon aus, dass Bund und Länder weit gehend getrennt agieren würden. Mit zehn Prozent zustimmungspflichtiger Bundesgesetze hatte der Parlamentarische Rat gerechnet. Aber schon in der ersten Legislaturperiode des Bundestags waren mehr als 40 Prozent an die Zustimmung des Bundesrats gebunden. Heute sind es weit über 60 Prozent. Die Gründe liegen in der Verfassung: Das Grundgesetz sieht vor, dass der Bundesrat entscheidend mitwirken darf, wann immer Finanz- oder Verwaltungszuständigkeiten der Länder berührt sind.

Die Ausführung von Bundesgesetzen fällt in der deutlichen Mehrzahl den Länderverwaltungen zu. Weil der Bund zudem in einem Ausmaß, das 1949 nicht vorauszusehen war, die einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes ("konkurrierende Gesetzgebung") nutzte, um selbst an Stelle der Länder Gesetze zu machen, ist die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze stetig gewachsen. "Wie das Ganze schließlich finanziert wird, ist so kompliziert, dass kaum jemand durchblickt", hat Ex-Bundespräsident Roman Herzog dazu gesagt.

Der Düsseldorfer Ministerpräsident Wolfgang Clement (SDP) will die Gemengelage nach einem alten Sprichwort neu ordnen: "Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch." Führt der Bund die Gesetze nicht selbst aus, muss er den Ländern und Kommunen die nötigen Mittel bereitstellen. Clement kann sich auch eine andere Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern und mehr Eigenverantwortung der Länder beim Geldeinnehmen vorstellen. Zudem will er in Einklang mit seinen Kollegen Gesetzgebungskompetenz an die Länder zurückverlagern.

In vierjähriger Arbeit hat auch eine Enquetekommission des bayerischen Landtags Vorschläge erarbeitet. Die Abgeordneten beklagen eine "Übervereinheitlichung" der Gesetzgebung durch die "Aushöhlung" der Zuständigkeiten der Länder. Sie empfehlen, dass künftig im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung Bundesrecht durch Landesrecht ersetzt oder ergänzt werden darf. Auf einigen Feldern sollten wieder alleine die Länder entscheiden, etwa bei der außerschulischen beruflichen Bildung, beim Bodenrecht, im Wohnungswesen, bei der wirtschaftlichen Sicherung von Krankenhäusern. Zudem solle das Recht des Bundes zur Rahmengesetzgebung in zweierlei Hinsicht beschnitten werden. Zum einen sollen Rahmengesetze - im Gegensatz zur heutigen Praxis - wirklich nur allgemeine Vorgaben für Ländergesetze machen, zum anderen müsse der Bund das Recht zur Rahmengesetzgebung auf einigen Feldern ganz verlieren, vor allem im Hochschulwesen.

Bei der Reform der Finanzverfassung sind sich die Politiker aller Länder einig. Sie schlagen vor, was zuletzt der Stuttgarter Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) ins Gespräch gebracht hat: Den Ländern solle erlaubt werden, Zu- oder Abschläge auf die (vom Bund vorgegebene) Einkommensteuer und bei jenen Steuern einzuführen, welche den Ländern zustehen, also die Kfz-Steuer oder die Grunderwerbsteuer. Zudem sollten Mischfinanzierungen und Gemeinschaftsaufgaben weit gehend abgeschafft werden. Als da wären: Hochschulbau, Verbesserung der Wirtschaftsstruktur, Bildungsplanung.

Das ruft freilich auch Kritiker auf den Plan. Fachleute verweisen darauf, dass solche Vorstellungen eines Wettbewerbs zwischen den Ländern vor allem den reichen Regionen nutzen. Zudem sehen sie die Gefahr, dass höhere Steuern, ein Überangebot an Studienplätzen und ein Subventionswettlauf bei Gewerbeansiedlungen das Ergebnis sein könnten. Der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof zum Beispiel hält einen Steuerwettbewerb der Länder für eher schädlich. Er fürchtet einen Verdrängungswettbewerb zum Nachteil vor allem der ostdeutschen Länder. Aber auch er ist der Meinung, dass das deutsche Verfassungssystem zu sehr auf Einvernehmen angelegt ist und einer Reform bedürfte. Nach den bisherigen Plänen - im Kanzleramt wie in den Staatskanzleien - soll bis 2004 die lange diskutierte Reform entscheidungsreif sein. Allseitiges Einvernehmen vorausgesetzt.

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