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Robert Habeck (Grüne) will schnelle Erfolge bei der Windkraft.

© Moritz Frankenberg/dpa

Mehr Flächen, weniger Bürokratie: Habecks Seeadler-Rezept für den Windkraftausbau

Seit Jahren stockt der Windkraftausbau, nun will die Bundesregierung mit Gesetzen die Länder in die Pflicht nehmen. Tierschützer sind alarmiert.

Marie-Luise Wolff bekniete Robert Habeck (Grüne) förmlich. „Die Vogelliste hat bestimmte Prüfabstände“, sagte die Präsidentin des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf einem Kongress in der vergangenen Woche und blickte flehentlich zum Wirtschaftsminister neben ihr.

Auch in Zukunft sei der Bau von Windanlagen nicht möglich, wenn in 2000 Metern Umgebung ein Rotmilan niste oder in 5000 Metern ein Schwarzstorch. „Da müssen wir nochmal nachschärfen“, sagte Wolff.

Der Druck scheint sich gelohnt zu haben. Am Mittwoch sind jene Pläne bekannt geworden, mit denen die Regierung den zuletzt eingeschlafenen Windkraftausbau wieder beleben will.

Mit zwei Gesetzesentwürfen, die in der kommenden Woche ins Kabinett gehen sollen, will die Ampel dafür sorgen, dass die Länder deutlich mehr Flächen für Windkraft zur Verfügung stellen. Zudem sollen Bau und Genehmigung der Anlagen beschleunigt werden, indem künftig auch in Landschaftsschutzgebieten Windräder gebaut werden dürfen und die Artenschutz-Prüfung standardisiert wird – mit Folgen für Rotmilan und Schwarzstorch.

Brisant sind die Pläne des Wirtschaftsministeriums, den Ländern die Flächen notfalls auch aufzuzwingen. Aus einer Formulierungshilfe für ein „Wind-an- Land-Gesetz“, das dem Tagesspiegel vorliegt, geht hervor, dass die Länder bis 2032 zwei Prozent der Landesflächen für Windanlagen verfügbar machen müssen.

Dabei sind die Aufgaben für die Länder unterschiedlich groß. Bayern und Baden-Württemberg, wo es weniger windet, sollen in zehn Jahren 1,8 Prozent ihrer Landesfläche bereithalten. Brandenburg, Hessen und Sachsen-Anhalt müssen dagegen 2,2 Prozent Windfläche bereitstellen. Die Stadtstaaten sollen nur 0,5 Prozent der Landesfläche reservieren. Für Berlin entspricht das einer Fläche von rund 620 Fußballfeldern. Bislang gibt es hier nur acht Windräder, bundesweit sind etwa 0,5 Prozent aller Flächen mit Windanlagen bebaut.

Bereits 2026 müssen die Länder das Zwischenziel von 1,4 Prozent der Landesfläche erreicht haben. Verfehlen sie diesen Wert, kann der Bund auch Abstandsregeln der Länder aufheben. „Die Bundesländer dürfen im Grundsatz weiter über Mindestabstände entscheiden, müssen aber sicherstellen, dass sie die Flächenziele erreichen und so ihren Beitrag zum Ausbau der Windenergie leisten“, heißt es in dem Text: „Tun sie das nicht, werden die landesspezifischen Abstandsregeln nicht angewandt.“

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Damit zieht der Bund die Daumenschrauben für die Länder kräftig an. Zuletzt hatten mit Brandenburg und Sachsen zwei weitere Länder Gesetze verabschiedet, wonach die unbeliebten Windanlagen nicht näher als 1000 Meter zu Gebäuden liegen dürfen.

In der Nähe von Industriegebieten dürfen Windanlagen schon jetzt entstehen.
In der Nähe von Industriegebieten dürfen Windanlagen schon jetzt entstehen.

© IMAGO/Sylvio Dittrich

Vorerst können die Regeln zwar Bestand haben, doch in der Praxis dürfte es für die Länder schwierig werden, Flächen fernab von Siedlungen für Windanlagen auszuweisen.

Die neuen Bundesgesetze könnten auch den politischen Streit in Thüringen befrieden. Dort drängt die CDU darauf, ebenfalls ein Gesetz für einen Abstand für 1000 Meter zu verabschieden. Einen Antrag, den die Partei in den Erfurter Landtag einbringen wollte, könnte mit Stimmen von FDP und AfD verabschiedet werden. Für die rot-grün-rote Minderheitsregierung ein „Dammbruch“.

Auch in Thüringen könnten Abstandsregeln kommen

Doch nun deutet sich ein Kompromiss an. „Ich habe die CDU gebeten den Antrag in dieser Woche nicht abzustimmen und dann gemeinsam noch die notwendige Feinarbeit zum Antrag zu machen“, twitterte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) am Mittwoch nach einem Gespräch mit der CDU. Die Grünen, die den Entwurf strikt abgelehnt hatten, sagten ihre Verhandlungsbereitschaft zu. Schließlich gibt ihnen das geplante Bundesgesetz Sicherheit, dass die Windräder dennoch gebaut werden.

Tatsächlich sind die Ziele, die der Bund den Ländern vorschreibt, ein Stück flexibel. So können die Länder untereinander bis zu 25 Prozent der Flächen im Rahmen eines Staatsvertrags „übertragen“. Sind sich zwei Bundesländer untereinander einig, können die Flächen getauscht werden. Stadtstaaten wie Berlin sollen sogar die Hälfte der Zielmarke mit anderen Bundesländern tauschen dürfen.

Um das zentrale Vorhaben der Ampel – den Anteil von Ökostrom bis 2032 auf 80 Prozent zu steigern – zu ermöglichen, sollen auch die Verfahren beschleunigt werden. Acht Jahre dauert es im Schnitt aktuell, von der Planung bis zum Bau eines Windrads. Die Genehmigungsverfahren füllen in der Regel mehrere Ordner. Klagen von Tier- und Naturschützern verzögern den Bau immer wieder.

NABU: "Es drohen langwierige Klärungen durch Gerichte"

Mit einer Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes sollen die Genehmigungsverfahren jetzt standardisiert werden. Dafür hat das Umweltministerium eine Liste von 16 Vogelarten erstellt. Je nach Vogelart dürfen Windräder in einem Abstand von 350 bis 5000 Metern nicht gebaut werden.

Die Hürden für Ausnahmen für den Artenschutz sind deutlich erhöht worden. So ist der Schwarzstorch gar nicht mehr auf der Liste, der Abstand für Rotmilane wurde auf 1200 Meter reduziert. Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Nabu, kritisiert die Novelle: „Durch Rechtsunsicherheiten und fachlich schlechte Lösungen drohen langwierige Klärungen durch Gerichte.“ Im Zweifel schwäche der Entwurf den Naturschutz und die Energiewende zugleich.

Wirtschaftsminister Habeck ist davon überzeugt, den Konflikt zwischen Windkraftausbau und Vogelschutz überwinden zu können. In seinem Heimatland sei das gelungen, erzählte er vergangene Woche beim BDEW. „Als ich 1989 in Schleswig-Holstein Abitur gemacht habe, gab es einen Seeadler, keine Seeadler-Frau und keine Windkraftanlage.“

Als er später Landwirtschaftsminister wurde, habe es 150 Brutpärchen und 3000 Windräder gegeben. „Wir sind in den letzten 20 Jahren in Schleswig-Holstein Stromexportland und Seeadler-Exportland geworden.“ Großer Lacher. Ob Habeck den Erfolg aus dem Norden wiederholen kann, ist noch unklar.

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