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Politik: Mehr Geld für Arme – und den Staat

Ein Mindestlohn würde 4,6 Millionen Beschäftigte begünstigen / Auch öffentliche Etats profitieren

Berlin - Die Einführung eines Mindestlohnes in Deutschland ist umstritten. Rund 4,6 Millionen Menschen in Deutschland hätten Anspruch auf eine Lohnerhöhung, wenn es einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde geben würde, wie ihn der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Linkspartei fordern. Derzeit arbeitet etwa jeder siebte Beschäftigte (14,6 Prozent) für weniger Geld. Zu diesem Ergebnis kommen die Arbeitsmarktforscher Claudia Weinkopf und Thorsten Kalina vom Institut Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen in einer Studie.

Auf Wunsch der SPD will die große Koalition im Herbst das Thema Mindestlöhne auf die Tagesordnung setzen. Umstritten ist bei den Sozialdemokraten allerdings, wie ein solcher Mindestlohn ausgestaltet werden könnte: bundesweit und einheitlich – oder nach Branchen differenziert? Viele Unions-Politiker sehen gesetzliche Mindestlöhne grundsätzlich mit großer Skepsis. Dabei könnten sie nach Ansicht der IAT-Forscher dafür sorgen, dass der Konsum angekurbelt wird. Der Wachmann, der in bescheidenen Verhältnissen lebe, könne sich dann auch etwa den Friseurbesuch leisten, prognostiziert Weinkopf.

Bei Einführung eines Mindestlohnes würde mehr als ein Viertel der gering Qualifizierten (28,8 Prozent) profitieren, und knapp ein Fünftel der Frauen (18,3 Prozent). Betroffen wäre in erster Linie die Dienstleistungsbranche – etwa das Gastgewerbe und der Einzelhandel. Vor allem auf kleine Betriebe mit weniger als fünf Mitarbeitern kämen höhere Lohnkosten zu: Jeder dritte Beschäftigte könnte sich nach Berechnungen des IAT auf eine Lohnerhöhung freuen. Insgesamt, so die Autoren, kämen auf die Unternehmen 10 bis 12 Milliarden Euro Zusatzkosten zu. Der Staat würde dadurch zwischen 3,7 bis 4,2 Milliarden Euro zusätzlich an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen einnehmen.

Trotz dieser Kosten hält die Arbeitsmarktforscherin Weinkopf einen gesetzlichen Mindestlohn für sinnvoll. Bereits heute müsse der Staat in erheblichem Umfang Niedriglöhne subventionieren. So hätten im September 2005 gut 900 000 Erwerbstätige ergänzendes Arbeitslosengeld II bekommen, darunter 280 000 Vollzeitbeschäftigte. „Ohne eine gesetzlich fixierte Untergrenze besteht die Gefahr, dass Unternehmen die „Ausfallbürgschaft“ des Staates zunehmend nutzen, um Löhne weiter abzusenken“, sagt Weinkopf.

Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer beurteilt einen einheitlichen Mindestlohn hingegen skeptisch. In Bereichen wie der Metallindustrie, die in der Regel mehr als 7,50 Euro pro Stunde bezahlt, könne dadurch ein unerwünschter Druck auf die Löhne entstehen. „In anderen Branchen kann ein einheitlicher Mindestlohn Arbeitsplätze kosten“, sagt Pothmer mit Verweis auf England. „Dort gibt es in der Gastronomie jede Menge self service, weil keine Bedienungen mehr eingestellt werden“, sagt die Grünen-Arbeitsmarktexpertin. Sie plädiert stattdessen dafür, branchenspezifische und regional differenzierte Mindestlöhne einzuführen.

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