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Politik: Mehr Sein als Schein

Von Robert Birnbaum

Und dafür drei Jahre? Man kann leichthin politikmüde werden beim Anblick dieser Einigung in Sachen Zuwanderungsgesetz. Drei Jahre lang tobt eine wilde Schlacht unter Beteiligung restlos aller Verfassungsorgane vom Kabinett über das Bundesratstheater und den Bundespräsidenten bis zum Verfassungsgericht. Und am Ende steht doch wieder eine jener Kungelrunden unter Parteivorsitzenden. Die Politik, müde ihrer selbst, ruft die heimliche große Koalition zu Hilfe. Dafür also drei Jahre?

Es ist leicht, dieser Art Politik müde zu werden. Aber auch leichtfertig. Gewiss, rund um den Reichstag breitet sich nach wie vor keine Zone der reinen Vernunft aus. Wer aber dem Zuwanderungsgesetz gerecht werden will, muss ehrlicherweise sagen, dass es das schwierigste Vorhaben auf der gesamten rotgrünen Agenda ist. Nirgendwo sonst prallen echte und geschürte Ängste, Weltbilder und Wahltaktiken so aufeinander, und das ja nicht nur entlang der Linie zwischen Regierung und Opposition. Für die deutsche Gesellschaft anno 2004 – für uns Politikmüde – ist der Gedanke an Zuwanderung nach wie vor meist ein unbehaglicher. Und es sind auch wir gewesen, diesmal als Wähler, die dafür gesorgt haben, dass die Regierung nicht tun kann, was sie will, sondern nur das, was ihr die Bundesratsmehrheit erlaubt.

Dies alles bedacht, ist das sich jetzt abzeichnende Ergebnis gar nicht übel. Nein, es ist nicht die große Lösung, die das ängstlich abgeschottete in ein weltoffenes Deutschland verwandeln würde. Es ist nicht die Lösung, die unser Land für Begabte und Engagierte attraktiv machen und dazu beitragen könnte, dass Menschen hierher und nicht unsere Arbeitsplätze dorthin wandern.

Aber es ist eben auch kein bloßer Minimalkompromiss zum Status quo. Der Arbeitsmarkt wird ein Stück geöffnet – für Hochqualifizierte, für Selbstständige, für ausländische Studenten. Es gibt besseren Schutz für Opfer nichtstaatlicher Verfolgung und für verfolgte Frauen. Es gibt, vom Bund bezahlt, mehr Integrationskurse. Es gibt zusätzliche Sicherheitsgesetze, wobei absurde Ideen wie die „Sicherungshaft“ vom Tisch sind.

Das alles kann man mit guten Gründen zu wenig finden. Es ist allerdings mehr, als es scheint. Demnächst steht ein Zuwanderungsgesetz im Gesetzblatt – damit ist die große, ideologisch von beiden Seiten überhöhte Hürde übersprungen. Und damit ist der Weg frei für künftige Weiterungen. Schon heute ist ja absehbar, wann die Arbeitsmigration nicht nur für Ingenieure, sondern auch für Facharbeiter geöffnet werden muss, weil wir selbst gar nicht mehr genug Nachwuchs haben. Aber das wird dann eine Gesetzesänderung und kein Grundsatzstreit mehr sein. In dieser Chance zum Pragmatismus liegt der wichtigste Fortschritt.

Mit diesem Ergebnis kann der Kanzler gut leben. Er steht endlich mal wieder als der Macher da, der die Dinge bewegt. Mit diesem Ergebnis kann die Opposition leben – ihr Herzensthema Sicherheit ist berücksichtigt. Mit diesem Ergebnis nicht ganz zufrieden sein können die Grünen. Es sieht einfach nicht so gut aus, dass ihr Lieblingsfeind, der Innenminister, mit CDU und CSU das Gesetz alleine schreibt. Andererseits ist Otto Schily an die gemeinsame rot-grüne Linie gebunden. Doch diese politischen Schönheitswettbewerbe müssen uns Politikmüde ohnehin nicht so furchtbar interessieren. Für uns ist entscheidend, was hinten rauskommt. Und dafür sind die drei Jahre – ja, gewiss zu lang, aber jedenfalls nicht zu schade gewesen.

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