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Politik: Mehr Sparsamkeit wagen - Schröders Politik erinnert an Willy Brandts Anfang und an Helmut Schmidts Ende (Kommentar)

Die rot-grüne Reformkoalition erinnert in doppelter Weise an die sozial-liberale Reformkoalition der siebziger Jahre, genauer: von 1969 bis 1982. Und zwar erinnert sie zugleich an den Anfang von Willy Brandt und an das Ende von Helmut Schmidt.

Die rot-grüne Reformkoalition erinnert in doppelter Weise an die sozial-liberale Reformkoalition der siebziger Jahre, genauer: von 1969 bis 1982. Und zwar erinnert sie zugleich an den Anfang von Willy Brandt und an das Ende von Helmut Schmidt. Unter der Leitung von Willy Brandt trat eine Regierung ab, die höchst eindrucksvolle außenpolitische Schritte wagte; und wer wollte bestreiten, dass das Kabinett Schröder/Fischer eine außenpolitische Reife und Robustheit gezeigt hat, die so keiner für möglich gehalten hatte. Aber innenpolitisch?

Da fühlt man sich doch an Helmut Schmidt erinnert, der im Frühsommer 1982 seinen Genossen in der SPD-Fraktion vorgehalten hatte, nun gebe es nur eine Alternative: Mehr Einschnitte ins soziale Netz - oder mehr Schulden. Und dann folgte Schmidts Feststellung: Das eine geht mit euch nicht - das andere mit mir nicht. Zwar stehen die Genossen heute hinter ihrem Kanzler und hinter dessen Sparkonzept. Aber unter der Oberfläche liegen dieselben Konflikte und Emotionen.

Wie der Anfang von Willy Brandt und das Ende von Helmut Schmidt - dieser Doppelvergleich lässt sich auch ganz einfach übersetzen: Selbst die schwierigste Außenpolitik ist einfacher als die einfachste Innenpolitik. Aber was die Sache besonders erschwert: Reformpolitik heute ist unvergleichlich schwieriger als die Reformpolitik unter den ersten beiden sozialdemokratischen Kanzlern der zweiten deutschen Republik. Wer damals Reformpolitik betreiben wollte, musste in erster Linie mentale Veränderungen betreiben - heute muss er materiellen Verzicht verlangen. Damals ging es zum Beispiel um Folgendes: Seht ein, dass der Zweite Weltkrieg wirklich verloren ist und dass seine Folgen bleiben werden; seht ein, dass man auch mit Kommunisten reden kann. Und: Seht ein, dass in einem freiheitlichen Rechtsstaat der Bürger in seiner Privatsphäre nicht obrigkeitlich bevormundet werden soll. Wieviele Widerstände auch immer solchen Mentalitätskorrekturen entgegengesetzt wurden - Änderungen wurden nur im Kopf, nicht in der Kasse verlangt.

Aber wer heute reformieren und modernisieren will, der muss den Leuten in die Haushaltskasse greifen. Es geht also nicht nur um mentale Überbauphänomene, sondern wirklich um den materiellen Unterbau. Und da gilt dann wirklich: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Einer der wichtigsten Gründe für das Straucheln der rot-grünen Koalition und für ihre vielen Wahlniederlagen in den Ländern und Kommunen liegt nun eben darin: dass sie Unterbauprobleme mit einer Oberflächlichkeit angepackt (ach, was: angeklickt!) hat, die man sich nicht einmal gegen Überbaudiskussionen erlauben dürfte. (Und das unter Sozialdemokraten, die sich doch noch daran erinnern müssten, was das heißt: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.) Wer also soziale Lebenslagen und materielle Erwartungen tiefgreifend verändern will, der muss wirklich harte Bretter bohren. Der darf nicht erst mit unrealistischen Wahlversprechen und deren voreiliger Einlösung am Hüh-Zügel ziehen, um sofort hinterher Hott zu kommandieren. Der darf nicht mit Lafontaine die Wahl gewinnen wollen, um gleich hinterher ohne und gegen Lafontaine Politik zu machen. Und der darf nicht mit einem von oben und außen importierten Schröder-Blair-Papierchen eine Diskussion servieren wie Instant-Kaffee - heiß, aber dünn.

Das legendäre Godesberger Programm von 1959 war in tüchtigen Kommissionen ausgedacht und in ungezählten Parteiveranstaltungen ausgekämpft worden. Als es schließlich verabschiedet wurde, hatte es die Parteidiskussionen und -mitglieder längst tief geprägt. Das ist übrigens der wahre Unterschied zwischen Tony Blair und Gerhard Schröder: Blair hatte seine Partei schon tiefgreifend verändert, bevor er zu regieren anfing; Schröder fing erst einmal an zu regieren - und wie tiefgreifend er, nebenher, seine Partei umbauen kann, das bleibt noch abzuwarten.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, so heißt es zwar. Aber wer das tief eingegrabene Sein verändern will, muss zuvor mit viel Überzeugungsstärke das Bewusstsein verändern. Der Griff in die Kasse geht nämlich durch den Kopf. Und das macht ihn so schwierig.

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