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Politik: „Mein altes Ich ist in Afghanistan geblieben“

Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft Verständnis für Soldaten aufbringt, die versucht haben, etwas Gutes zu tun und dann so nach Hause kommen wie ich. Und dass man mich nicht als durchgeknallten Veteranen bezeichnet, wie es mir passiert ist.

Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft Verständnis für Soldaten aufbringt, die versucht haben, etwas Gutes zu tun und dann so nach Hause kommen wie ich. Und dass man mich nicht als durchgeknallten Veteranen bezeichnet, wie es mir passiert ist. Auch nach meiner PTBS-Erkrankung war ich bei der Arbeit immer pünktlich und hatte keine Fehltage. Erst, wenn mein Chef mich zum Arzt geschickt hat, wenn er mich also von meinen Pflichten entbunden hat, bin ich nach Hause gegangen. Mein Privatleben fand dagegen nicht mehr statt. Der Dienst war für mich wie ein Einsatz und zu Hause war Bunker, da habe ich mich verschanzt.

Alle haben damals gemerkt, dass ich mich verändert hatte, nur ich selbst nicht. Wenn ich mit meiner Familie einkaufen war, kam es vor, dass mir jemand auf dem Parkplatz die Vorfahrt genommen und dann auch noch den Finger gezeigt hat. Dem habe ich den Weg versperrt und habe ihn aus dem Auto geholt. Ich war dann im Einsatz. Aggressives Verhalten hat mich sofort in eine andere Welt katapultiert. Dann habe ich völlig die Kontrolle verloren. Mehr als einmal hätte ich beinah jemanden getötet. Auch in der Familie bin ich gewalttätig geworden. Meine damalige Frau und mein Sohn wollen heute nichts mehr mit mir zu tun haben.

Schon im Kosovo habe ich viele brisante Situationen erlebt. Wenn wir das Lager verließen, war das immer zu einem scharfen Einsatz. Eine psychologische Nachbetreuung gab es nach meiner Rückkehr aber nicht. Und wenn ich im Freundeskreis davon erzählt habe, wurde alles runtergespielt. Nicht ganz ein Jahr später kam dann schon die Anfrage für Afghanistan. In Kabul war jemand ausgefallen. Ich wurde also gebraucht. Bei meiner ersten Besichtigung musste ich allerdings feststellen, dass die Versprechungen aus Deutschland, was Leute, Ausbildung und Ausrüstung meiner Einheit anging, gelogen waren. Mein Zug bestand aus drei Brandschutzsoldaten, die nicht mehr als einen Crashkurs bekommen hatten. Das einzige Fahrzeug war Baujahr 1962 und hatte einen Reifenschaden. In Deutschland gab es noch genau 136 Ersatzreifen dafür, doch die durften nicht verwendet werden, weil sie überlagert waren.

Den eigentlichen Schlag hat mir dann der Absturz eines Hubschraubers versetzt. Dabei sind sieben deutsche Soldaten ums Leben gekommen. Bis heute mache ich mir Vorwürfe, weil ich glaube, dass wir einen der Soldaten vielleicht noch hätten retten können. Ich spiele die Szenarien immer wieder durch. Ich war mit dem Vorgehen an der Unfallstelle nicht einverstanden. Als Einsatzleiter der Gefahrenabwehr hätte ich mich über die Befehle von Vorgesetzten hinwegsetzen können. Das habe ich in meiner Zeit in Kabul mehrmals getan. Dieses eine Mal aber eben nicht.

Nach meiner Rückkehr musste ich anderthalb Jahre dafür kämpfen, dass einige Sachen aus diesem Einsatz geradegerückt wurden. Mein Vorgesetzter hatte mich unter anderem als Lügner bezeichnet. In der Situation selbst hatte ich aber weiter funktioniert. Von den sieben Toten habe ich alle mit geborgen und vier selbst mit weggetragen. Die Belastung für meine Kameraden und mich war unglaublich hoch.

Das alles habe ich später mit mir allein ausgemacht. So wie mein Opa, der hat auch nie vom Krieg erzählt. Leute, die wirklich etwas erlebt haben, sprechen selten darüber, hat er mal zu mir gesagt. Das habe ich verinnerlicht. Aus heutiger Sicht muss ich aber sagen, manchmal ist es besser zu reden, um zu verarbeiten. Ich bin bis heute nicht zu Hause angekommen. Mein altes Ich ist in Afghanistan geblieben, und das neue suche ich noch immer.

Thorsten Gehrk, geboren 1967 in Kiel, Stabsunteroffizier. Thorsten Gehrk hat ursprünglich Schiffbauer gelernt, 1987 ging er als Zeitsoldat zur Bundeswehr. Dort wurde er bei der Artillerie Schreibfunktruppführer und somit für die Übermittlung verschlüsselter Nachrichten zuständig. Da er sich privat bei der freiwilligen Feuerwehr engagierte, wechselte er später zur bewaffneten Feuerwehr bei einer Pioniereinheit. 1991 schied er aus der Bundeswehr aus, weil seine damalige Frau, die aus Polen stammt, Vorbehalte gegenüber der Bundeswehr hatte. Danach arbeitete er als Brandschutztechniker und bei einem Sicherheitsunternehmen als Ausbilder für sogenannte Berufswaffenträger, blieb aber aktiver Reservist. Als solcher ging Thorsten Gehrk mehrmals in Auslandseinsätze, wo er hauptsächlich für die Brandschutzsicherung der Bundeswehrlager zuständig war und für Feuer- und Rettungseinsätze außerhalb der Lager. 2000 war er im Kosovo, 2002/2003 und 2004 in Kabul/Afghanistan. Den letzten Einsatz musste Gehrk nach drei Wochen abbrechen, weil er erkennen musste, dass er den Einsatzbelastungen nicht mehr gewachsen war. Er leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die auf Erlebnisse aus seinem ersten Afghanistan-Einsatz zurückgeht. Durch ein 2007 erlassenes Gesetz erhielt er als einsatzgeschädigter Soldat die Möglichkeit, zur Bundeswehr zurückzukehren. Heute ist er im Familienbetreuungszentrum in Kiel Ansprechpartner für Angehörige von Einsatz-Soldaten.

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