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Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues liest und diskutiert im Tagesspiegel-Salon.

© Thilo Rückeis

Mein Sommer in BERLIN: Stimmen ohne Körper

Eine synchronisierte Catherine Deneuve? Niemals! Lieber verlasse ich den Kinosaal als Hochverrat zu begehen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Pascale Hugues

Was wäre paradoxer und zugleich erholsamer, als sich in den Hundstagen in das kühle Dunkel eines Kinos zu flüchten? Überall der Ansturm auf Wasser und Licht. Ganz Berlin drängt sich in den Schwimmbädern, am Ufer der Seen kleben die Körper fast aneinander. Die Kinosäle dagegen sind ausgestorben. Zu zweit kann man eine ganze Reihe besetzen und in den Genuss einer Privatvorführung kommen.

Die Filmfigur verliert ihre Glaubwürdigkeit

Vorige Woche also „Taxi Teheran“ in einem prachtvollen, sehr alten Filmtheater in Neukölln. Eines der wenigen, wo der Film im Original mit Untertiteln gezeigt wird. Und während ich mich von der Musik der so schönen und so weichen, mir völlig unbekannten Sprache davontragen lasse, frage ich mich, wie man den Film in der deutschen Synchronfassung sehen kann. Die Sprache Goethes auf den Lippen von Persern, die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem Taxi aussprechen, während es durch das Chaos dieser gigantischen Stadt wirbelt – unmöglich, absurd! Unmöglich ist es mir natürlich auch, einen synchronisierten französischen Film zu sehen. Catherine Deneuve plötzlich mit einer anderen Stimme und Sprache, das geht einfach nicht. Als würde man die Gefühle und Schwingungen des Französischen gewaltsam abschneiden. Eine Dissonanz macht sich hörbar, etwas stimmt nicht, und die Filmfigur verliert ihre Glaubwürdigkeit.

Lieber verlasse ich den Saal und verzichte auf den Hochverrat. Und welch ein Schock erst, wenn das Double in Fleisch und Blut unvermittelt neben dem Original auftaucht. Kürzlich habe ich die deutsche Stimme von Charlotte Gainsbourg, einer meiner Lieblingsschauspielerinnen, kennengelernt. Das Original: hochgewachsen, feingliedrig, zerbrechlich, zart, ganz Melancholie und Charme. Das Double: eine kleine blonde muntere Schauspielerin, etwa 15 Jahre älter, und an jenem Abend im Dirndl. Mich überfiel die Vorstellung von Charlotte Gainsbourg mit ihrem knabenhaften Körper als Königin des Oktoberfests, ihre kleinen Brüste in einer Trachtenbluse verschwunden. Ich bekam einen Lachanfall. Auf der Leinwand waren ihre Stimmen notfalls austauschbar, aber ihre Körper hatten nichts Gemeinsames.

Manchmal reißen der Film oder seine Entzugserscheinungen den Zuschauer so mit, dass die gewagte Metamorphose in Vergessenheit gerät. Vor langer Zeit habe ich Fellinis „Amarcord“ im deutschen Fernsehen synchronisiert gesehen. Es war zur Zeit der Wende. Seit fast einem Jahr wohnte ich im Palasthotel gegenüber dem Dom. Schon Monate war ich nicht mehr ins Kino gegangen. Italien war Lichtjahre von der grauen, sehr protestantischen und außerordentlich moralisierenden Umgebung entfernt, die mich von morgens bis abends umgab.

Das Meisterwerk eines meiner bevorzugten Regisseure mitten in Ostberlin zu sehen, war an sich schon seltsam. Aber dass jenes überschäumende Italien in mein im anachronistischen Stil der 70er Jahre eingerichtetes Hotelzimmer strömte, das war eindeutig surrealistisch. Und doch bog ich mich vor Lachen und schmolz vor Rührung. Die in die Musik von Nino Rota eingehüllten deutschen Stimmen hatten es nicht geschafft, das Fellini’sche Universum zu entzaubern. Weit weg von der deutschen Revolution, von den Endlosdebatten in den Kirchen von Prenzlauer Berg war ich in die Emilia Romagna gereist.

Was für eine Enttäuschung, wenn der Körper die Stimme verrät, die ihm entspringt. Als ich bei der BBC arbeitete, hörte ich eines Abends in der Kantine diese Traumstimme, dunkel, tief, so viril und unglaublich sexy, die mich jeden Morgen erzittern ließ, wenn ich die Nachrichten des World Service hörte. Erste kalte Dusche: Die Stimme bestellte eggs and bacon. Ich drehte mich um und entdeckte einen kahlen, knochigen Herrn in einer von seiner Gattin gestrickten kanariengelben Weste. Meine Fantasien verflüchtigten sich mit einem Schlag. Andererseits kann die Stimme auch den Körper verraten. Angeblich hatte der Stummfilmstar John Gilbert mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, als er im Tonfilm auftreten sollte – seine Stimme hatte keinen Klang.

Stellen Sie sich den stolzen spanischen Gesandten vor, wie er Königin Christine alias Greta Garbo nach der Liebe Weintrauben in den Mund steckt und ihr mit Fistelstimme Liebesworte ins Ohr flüstert. Aber geben Sie John Gilbert die Stimme des BBC-Sprechers, und ich garantiere für nichts.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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