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Politik: Meine Reform, deine Reform

Viele sozialpolitische Konzepte, die der Kanzler jetzt umsetzen will, sind nicht von ihm. Die Union hat sie schon vor längerer Zeit vorgeschlagen

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Hat sich der Sozialdemokrat Schröder still und heimlich das Wahlprogramm der Union durchgelesen? War er gar so begeistert, dass er die meisten Konzepte der Konservativen als Vorlage für seine Reformagenda 2010 genutzt hat? In der aufgeregten Reformdebatte dieser Tage taucht jedenfalls immer wieder die Vermutung auf, der Kanzler habe in weiten Teilen bei der Opposition abgekupfert – auch wenn die Unionschefin das niemals zugeben würde. „Der große Wurf für die Bundesrepublik Deutschland war es nicht“, bescheinigte Angela Merkel dem Regierungschef nach dessen Rede. Aber es gibt auch differenziertere Stimmen. „Ich bin sehr zufrieden mit den Aussagen Schröders zur Sozialpolitik“, lobt etwa CSU-Vize Horst Seehofer. Und selbst Hessens Ministerpräsident Roland Koch begrüßt die Stoßrichtung von Schröders Programm. Und hinter vorgehaltener Hand plädieren einige aus der Union dafür, viel offensiver mit Schröders „Ideenklau“ umzugehen. Man solle ihn jetzt unterstützen, weil die Kanzlerpläne zu weiten Teilen der eigenen Programmatik entsprechen.

Aber ist es wirklich so? Beispiel Gesundheitspolitik. Krankenkassen sollten ihr Angebot freier gestalten können – dazu gehörten auch „unterschiedliche Selbstbehalte“, heißt es im „Regierungsprogramm 2006“, mit dem CDU und CSU in den Bundestagswahlkampf gezogen sind. SPD und Grüne dagegen erwähnen eine Selbstbeteiligung der Patienten im Koalitionsvertrag mit keinem Wort, hatten sie doch diese Unionsforderung im Wahlkampf als unsozial abgestempelt. Für den Bundeskanzler mittlerweile unverständlich, denn er fordert nun „differenzierte Praxisgebühren und Selbstbehalte“. Aber geht er damit auch wirklich auf die Union zu? Während CDU-Gesundheitspolitiker sich freuen, ist diese Art der Selbstbeteiligung dem CSU-Sozialexperten Horst Seehofer eher suspekt.

Beispiel Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Wegen der „besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft“ wolle die SPD im Rahmen der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe „keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau“, heißt es im Wahlprogramm der SPD. Der Kanzler verkündet nun das Gegenteil. Im Prinzip eine alte Unionsforderung, auch wenn sich CDU und CSU in ihrem Wahlprogramm nicht schriftlich auf eine Größenordnung festgelegt haben.

Beispiel Arbeitslosengeld. Bei der Kürzung der Versicherungsleistung für Arbeitslose haben sich beide Volksvertreter in der Vergangenheit sehr zurückgehalten. Keine Seite wollte es wagen, sich für eine Kürzung des Arbeitslosengeldes auszusprechen. Und schon gar nicht für Einschnitte bei älteren Arbeitslosen. Einzige Ausnahmen im vergangenen Jahr: Florian Gerster, der sozialdemokratische Chef der Bundesanstalt für Arbeit. Und Edmund Stoiber, CSU-Chef und bayrischer Ministerpräsident. Ihre Vorstellungen zur Kürzung des Arbeitslosengeldes auf ein Jahr wurden allerdings sofort von ihren eigenen Parteien dementiert. Zur Erinnerung: CDU-Sozialminister Norbert Blüm war es, der Ende der achtziger Jahre das Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer von zwölf auf 32 Monate erhöht hat. Nun macht ausgerechnet Kanzler Schröder diesen Schritt rückgängig.

Als Ideengeber für sozialdemokratische Reformpolitik darf sich nun auch Lothar Späth bezeichnen. Der ehemalige Schatten-Wirtschaftsminister unter Stoiber wollte Handwerkern mit einem kommunalen Investitionsprogramm helfen – genau wie jetzt die SPD: nur, dass Späth das Programm aus zurückfließenden EU-Geldern finanzieren wollte. Die SPD nutzt jetzt zurückfließende Fluthilfe-Gelder dazu.

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