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Politik: Mensch Hitler

Von Peter von Becker

Der britische Schriftsteller Roald Dahl, ein Großmeister des sanften Horrors, hat vor Jahren die Geschichte einer vom Schicksal geschlagenen jungen Frau erzählt. Der Mann ein Trinker, die Frau hat schon drei Kinder vor der Zeit verloren, jetzt, nach einer schweren Geburt, kämpft sie mit den Tränen, fragt, was mit dem Kind sei. Endlich beruhigt sie der Arzt: Es ist ein Junge, er wird leben. Sie haben ein vollkommen normales Baby, Frau Hitler.

Diese Nachricht, damals im Krankenhaus von Braunau, ist Dahls Pointe, und die kleine Erzählung heißt „Genesis und Katastrophe“. Gut 40 Jahre nach der makabren SchöpfungsStory haben nun die Filmemacher Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel das Ende der Geschichte erzählt. „Der Untergang“ – nach vier Wochen in den deutschen Kinos haben ihn bereits über drei Millionen Zuschauer gesehen. Der unaufhaltsame Aufstieg des „Untergangs“ erweist also einmal mehr die Faszination der Figur Adolf Hitlers.

Doch diese Faszination ist nicht ungebrochen, dazu zeigt Bruno Ganz den greisenhaft gebeugten, noch im Selbstmord mörderischen Diktator tatsächlich – zu menschlich. Was auch heißt: zu harmlos? Der Vorwurf, hier schrumpfe die Schreckensherrschaft auf den Spuk im Führerbunker und der Weltübeltäter erscheine „vermenschlicht“, geht doppelt in die Irre. Gewiss können die letzten zwölf Tage im Bunker nicht die zwölf Jahre des NS-Horrors miterzählen. Aber der Blick aufs fatale Ende entfacht seine Wirkung – wie Roald Dahls Geschichte des Anfangs – genau dadurch, dass der Zuschauer weiß, was zwischen Genesis und Exitus geschah. Und für die, die das ohnehin nicht wissen wollen, ist der Film nicht gemacht.

Was immer man beim „Untergang“ ästhetisch oder (in Nebenpartien) historisch einwenden mag: Der Erfolg des Films spricht nicht gegen ihn – und nicht gegen das Publikum. Trotz immenser Forschungen oder Guido Knopps Schlüssellochpersektiven haben wir ja noch nie hinter die Maske des Weltzerstörers geblickt. Jetzt sehen wir im Kino den bösen alten Mann, der gleich einem böse wütigen Kind seine Bleistifte wie vorher die Menschenleben zerknickt. Indem Bruno Ganz so zumindest das vorstellbare Ende eines bisher kaum vorstellbaren Menschen namens Hitler zeigt, wird der Diktator vom Dämon erstmals zur Person. Der Über- und Unmensch erhält ein zweites, unangenehm normales Gesicht.

Das bedeutet noch keine neue Aufklärung. Doch es wirkt einer Verklärung zum Mythos entgegen. Der Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Imre Kertész hat einmal gesagt: „Das wirklich Irrationale und tatsächlich Unerklärbare ist nicht das Böse, im Gegenteil: Es ist das Gute.“ Dass das Böse in seinem Untergang böse endete, macht Hitler noch nicht erklärbarer. Aber die Deutschen haben ihren gewaltigen Untoten in diesem filmischen Totentanz womöglich zum ersten Mal auch: begraben. Ohne Pathos oder die seit Chaplin so wohlfeile Ironie.

Diese Historisierung mindert keine Verantwortung. Sie entkrampft jedoch, so lange daraus keine neue Masche wird. Hitler in Serie braucht es nun nicht. Und in den Schulen sollte man nicht, wie schon vorgeschlagen, den Tod des Alten, sondern das von ihm befohlene Sterben der Jungen zeigen. Denen, die noch zu wenig wissen, erzählt „Die Brücke“ von Bernhard Wicki nebst allen Dokumenten von Krieg und Holocaust zum Augenöffnen mehr als Hitlers späte Höllenfahrt.

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