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Menschenrechte: Die mächtigste Idee der Welt

Keine andere Idee hat die Welt so verändert: Die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die vor 60 Jahren verabschiedet worden sind, bilden das Wertefundament der westlichen Welt.

Ideen gab es viele in der Geschichte der Philosophie, aber keine hat die Welt so verändert wie die der Menschenrechte. Ihre Allgemeine Erklärung, die heute vor 60 Jahren in Paris verabschiedet wurde, versammelt 30 Artikel, mit denen die Vereinten Nationen diese Idee konkretisiert haben. Sie bilden heute das Wertefundament der westlichen Welt. Auch wer die Idee nicht teilt, kann sich ihr nicht entziehen. Sie hat sich durchgesetzt im Wettbewerb der Ideale. Alle Wirklichkeit muss sich an ihr messen lassen. Kein geschriebenes Gesetz ist so kraftvoll, so mächtig, so universell.

48 der damals 58 UN-Staaten haben die Charta unterschrieben. Die kommunistischen Staaten enthielten sich, Saudi-Arabien und Südafrika auch. Honduras und Jemen erschienen nicht zur Abstimmung. Gegenstimmen gab es keine. Die Charta ist eine Resolution, völkerrechtlich verpflichtet sie zu nichts. Doch erstmals hat sich eine internationale Gemeinschaft ausdrücklich dazu bekannt, Menschen unveräußerliche, unteilbare Rechte einzuräumen – die sie auch gegen ihre Staaten wenden können.

Gerade dies ist das Revolutionäre an der Idee: Sie stattet jeden Menschen mit einem Generalanspruch aus, einem subjektiven Recht. Das unterscheidet die moderne Form der Menschenrechte von ihren ideengeschichtlichen Ursprüngen. In der Antike gab es zwar keine „Menschenrechte“, wohl aber entwickelten die griechischen Sophisten den Gedanken, dass göttliche Gesetze die Menschen als frei bestimmten, dass sie zur Vernunft befähigt und mit gleichen Rechten geboren seien. Den knospenden Individualismus brachten der Philosophenkaiser Marc Aurel und Cicero in Rom zu bescheidener Blüte. Das frühe Christentum schloss daran an, indem es des Menschen Gottebenbildlichkeit propagierte und eine Anknüpfung für den späteren Würdebegriff schuf.

Im Übergang zur Neuzeit verlor sich der religiöse Gehalt, die Aufklärer traten auf den Plan. Von ihrer Subjektivität oder gar Einklagbarkeit sind die Menschenrechte weit entfernt, dennoch erkannten Gelehrte wie der Niederländer Hugo Grotius, konfrontiert mit den Machtansprüchen des Absolutismus, dass jede staatliche Souveränität die natürlichen Rechte des Menschen zu achten habe. Wer einen deutschen Beitrag zur Naturrechtsdiskussion sucht, wird in der Berliner Nikolaikirche fündig, der Ruhestätte Samuel Pufendorfs. Ein Herrscher darf einen ehrenwerten Mann nicht grundlos kränken, er darf sein Eigentum und schon gar nicht ihn selbst verletzen, konstatierte der Denker in seinem Hauptwerk „Von Natur und Völkerrecht“. Auch Pufendorf schlug noch nicht die Brücke zum Abwehranspruch gegen die Herrschaftsgewalt, das gelang erst dem britischen Staatstheoretiker John Locke. Erstmals kodifiziert wurden die Menschenrechte dann 1776 in der „Bill of Rights“ für die britische Kronkolonie Virginia, welche die Grundlage für die amerikanische Unabhängigkeitserklärung bildete : Die Gedanken von Locke in den Worten Pufendorfs.

Erfunden von den Griechen, entwickelt bei den Römern, gefördert von den Christen, geformt von Deutschen und Engländern, aufgeschrieben von den Amerikanern – die Menschenrechte sind ein internationales, weltlich-religiöses Gemeinschaftswerk, das mit der UN-Charta vollendet wurde. Zwingend war das nicht. Es bedurfte engagierter Akteure wie der US-Präsidentengattin Eleanor Roosevelt, die dem Katalog als Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission Form und Ausdruck gaben. Und eines historisch einmaligen Moments, des Erschreckens über den Naziterror. Erst diese Kombination ließ den Konsens erwachsen. Die USA bestanden auf dem Resolutions charakter, weil sie um die Ratifizierung fürchteten; die kommunistischen Staaten enthielten sich, weil sie ihre Souveränität beschnitten sahen; Frankreich dagegen wollte die Menschenrechte auf die Verhältnisse Privater ausdehnen. So setzten sich die einen durch, andere nicht. Trotzdem entstand ein Dokument der Einigkeit, das über den Sozial- und Zivilpakt der UN auch verbindliches Recht geworden ist.

Auf zwei Ebenen sind die Menschenrechte wieder streitig geworden. Zum einen in der Theorie. Zweifellos sind sie westlich geprägt, ihre Geschichte und Auslegung folgt einer westlichen Lesart, wenngleich auch einem Konfuzius Menschenwürde nicht fremd war. Trotzdem tun sich kollektivistische Staatstraditionen schwer mit ihrem Eigenleben. China und viele islamische Staaten stellen zunehmend die Universalität der Menschenrechte infrage. Sie nehmen Menschenrechte nicht als Individualanspruch wahr, sondern als Begründung westlicher Herrschaftsinteressen. Der erzieherische Duktus, der ihnen innewohnt, wird gerade im asiatischen Raum oft als demütigend empfunden.

Die zweite Ebene betrifft die Wirklichkeit. Völkermorde, Flüchtlingselend, staatlicher Terror, Folter und Hunger – daran, dass Millionen Menschen leiden, haben ihre kodifizierten neuen Rechte wenig geändert. Da ist Wahres dran. Einklagbar sind die Menschenrechte meist nur über den Grundrechtskatalog nationaler Verfassungen, wie in Deutschland, oder etwa über die Europäische Menschenrechtskonvention. Doch lenken sie den Blick auf das Schicksal des Einzelnen, machen Not und Leid erfahrbar. Eine mitfühlende Perspektive, die nicht übergangen werden kann, selbst wenn sich alle Verhältnisse ändern sollten.

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