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Schlange vor

© Archivfoto (2011): dpa

Update

Menschenrechte: Kubas Machthaber wollen Bürgern Reisefreiheit gewähren

Überraschend will die kubanische Regierung ein zentrales Menschenrecht zulassen: Ab nächstem Jahr sollen Bürger das kommunistische Land auch ohne Erlaubnis verlassen dürfen. Die Entscheidung kommt inmitten von Gerüchten um den Tod des Revolutionsführers Castro.

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Die Sensation kam per Parteiblatt: „Kuba aktualisiert seine Migrationspolitik.“ Unter dieser drögen Überschrift verkündete die kommunistische Zeitung „Granma“ am Dienstag nichts weniger als die Reisefreiheit. Vom 14. Januar 2013 an benötigen Kubaner keine Ausreisegenehmigung mehr und kein Einladungsschreiben, wenn sie das Land verlassen wollen. Was der bürokratische Jargon elegant umschreibt, ist die Aufhebung einer der härtesten Beschränkungen, unter denen die Kubaner seit fast einem halben Jahrhundert leiden. Denn dadurch wurden sie zu Gefangenen auf ihrer Insel. Das Ausreisevisum kostete 150 US-Dollar und war damit für die meisten Kubaner, deren monatlicher Durchschnittslohn bei rund 20 US-Dollar liegt, unerschwinglich. Selbst wer die nötigen Devisen hatte, war der bürokratischen Parteiwillkür ausgeliefert, wenn er Freunde oder Angehörige im Ausland besuchen wollte. Ärzte, Wissenschaftler und Militärs durften prinzipiell nur im Auftrag der Regierung ausreisen. Dissidenten wie die Bloggerin Yoani Sánchez oder der kürzlich verunglückte Oswaldo Payá erhielten grundsätzlich nie eine Ausreisegenehmigung. Sánchez wurde zwanzig Mal in den vergangenen fünf Jahren die Ausreise verweigert. „Das ist das Ende des Regimes von Fidel Castro“, twitterte die Dissidentin. Das freilich mag etwas verfrüht sein. Kuba ist eine Insel – dem Ansturm auf die Nachbarländer sind schon rein geografisch Grenzen gesetzt. Die ersten Reaktionen der Menschen in Havanna waren eher ungläubiges Staunen, verhaltene Freude und heftiges Debattieren über die Reichweite der Maßnahme. Denn einige Hintertüren ließ die Regierung offen: Die Zuteilung von Pässen bleibt weiterhin eine hoheitliche Funktion. Und nur derjenige, der die Voraussetzungen dafür erfülle, erhalte einen Pass, hieß es in „Granma“. Die Richtlinien würden momentan überarbeitet. Bisher haben nur wenige Kubaner überhaupt einen Pass. Mit Einschränkungen für bestimmte Berufsgruppen ist zu rechnen. Zumindest hieß es in „Granma“, die Regierung werde die aggressiven und subversiven Pläne der USA zu durchkreuzen wissen und keineswegs einem Ausbluten von Intelligenz tatenlos zusehen. Beschränkungen dürfte es auch für Dissidenten geben. „Meine Freunde warnen mich vor zu großen Hoffnungen. Ich stehe auf einer schwarzen Liste“, twitterte Sánchez kurz nach dem ersten Jubel. Rund 1,5 Million Kubaner leben im Ausland, die meisten davon in den USA. Auch für sie bringt die Reform Neuerungen. Bisher durften sie aus privaten Gründen nur höchstens elf Monate im Ausland verweilen und mussten Monat für Monat eine Verlängerung ihres Auslandsaufenthalts beantragen, die jeweils 50 US-Dollar kostete. Andernfalls wurden sie als Deserteure eingestuft und verloren ihre Bürgerrechte. Diese Verweildauer wird nun auf 24 Monate ausgedehnt. Definitiv ausgewanderte Exilkubaner benötigen für Besuche in der Heimat weiterhin ein auf 30 Tage begrenztes Besuchervisum. Die Änderung der kubanischen Migrationspolitik setzt nun die USA unter Druck, die bisher Kubanern anders als anderen lateinamerikanischen Migranten beim Betreten des US-Festlands automatisch den Status politischer Flüchtlinge verlieh – ein enormer Anreiz, der in der Vergangenheit immer wieder zu Flüchtlingswellen führte. Die Reisefreiheit war eine von der Bevölkerung besonders ersehnte Reform. Regierungschef Raul Castro hatte sie schon in seinem Reformpaket 2008 in Aussicht gestellt. Allerdings traf sie wegen ihrer Brisanz innerparteilich auf große Widerstände.

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping begrüßte die Reisefreiheit für die Bürger Kubas als „gute Nachricht“. Kipping sagte dem Tagesspiegel: „Es gibt keinen Sozialismus ohne Freiheit und Demokratie. Kuba wird dadurch gewinnen. Ich hoffe, dass das auch für andere Länder ein Impuls wird.“ Der Grünen-Menschenrechtsexperte Tom Koenigs betonte, er sehe nicht den Anfang vom Ende des sozialistischen Regimes. „Ob das einen Lawineneffekt hat wie das in der DDR war und damit das ganze Regime die Repression beendet, das glaube ich nicht“, sagte er. Der Schritt zeige aber, dass es politische Bewegung in Kuba gebe. Der Leiter der Abteilung Lateinamerika von „Brot für die Welt“, Uwe Asseln-Keller, sprach von einem wichtigen Schritt. „Aber man kann nicht sagen, jetzt können alle weg, das wird nicht passieren.“ In der Praxis vermutet er, dass nur diejenigen einen Pass erhalten, die früher mit einer Ausreisegenehmigung das Land verlassen konnten. Dennoch rechnet der Experte damit, dass sehr viele Kubaner einen Pass beantragen werden. „Da brodelt es unheimlich.“ (mit dpa/epd)

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