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Nils Muiznieks (53) ist seit 2012 Kommissar für Menschenrechte des Europarats.

© Imago/Ipon

Menschenrechtskommissar des Europarats: "Türkei muss Kurs bei Meinungsfreiheit korrigieren"

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Niels Muiznieks, spricht über die Beschneidung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei.

Herr Muiznieks, dies ist der dritte Bericht, den Sie seit der Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei veröffentlichen. Wohin steuert das Land?

Die Lage der Medien in der Türkei ist ziemlich dramatisch. Ich habe immer betont, dass Presse- und Meinungsfreiheit Grundrechte sind, die einen Einfluss haben auf die Ausübung anderer Grundrechte: auf die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, Religionsfreiheit, und eben auch auf das Recht auf freie und gerechte Wahlen. Ich bin besorgt und alarmiert. Was wir sehen, ist nicht nur das Produkt des Ausnahmezustands. Der Ausnahmezustand hat eine schlechte Situation noch sehr viel schlimmer gemacht. Viele dieser Probleme gab es bereits vor dem Ausnahmezustand und dem Putschversuch. Doch jetzt, wo mehr als 150 Medienorganisationen geschlossen, mehr als 150 Journalisten im Gefängnis sind, ist es höchste Zeit für die Verantwortlichen in der Türkei, den Kurs zu korrigieren.

Jetzt steht ein Volksentscheid über die Verfassungsänderung an…

Um eine so weitreichende Frage zu diskutieren wie die Verfassungsänderung, braucht man demokratischen Freiraum. Ich habe aber ernsthafte Zweifel, dass man eine solche Debatte unter den Bedingungen des Ausnahmezustands führen kann und in einer Situation der Medien, die so düster ist, wie ich sie beschrieben habe. Ich halte das für höchst problematisch.

Von Ihrem Bericht werden die meisten Türken vermutlich keine Kenntnis erhalten…

Ich hoffe, der Bericht wird in der Türkei verbreitet. Bei früheren Anlässen haben verschiedene NGOs und Journalisten unsere Arbeit sofort übersetzt und verbreitet. Das Echo in den sozialen Medien dort ist jedes Mal riesig, wenn ich etwas über die Türkei schreibe oder sage, so habe ich festgestellt. Was die Verantwortlichen in der Türkei angeht, so war die Zusammenarbeit bis jetzt gut. Ich habe Gespräche auf hoher Ebene, aber es gibt keine Veränderungen in der Wirklichkeit. Die hätte ich aber gern.

Es ist nun immerhin eine Untersuchungskommission ist eingerichtet worden, die Beschwerden von Privatpersonen anhören soll, die von den Maßnahmen im Ausnahmezustand betroffen wurden. Thorbjörn Jagland, der Generalsekretär des Europarats, nannte dies einen Beweis dafür, dass der Dialog mit der Türkei lebt und wichtig ist. Sind Sie auch dieser Ansicht?

Dieser Ausschuss ist ein bescheidener Schritt in die richtige Richtung. Wir warten alle darauf zu sehen, wie der Ausschuss arbeitet, wie unabhängig und effizient er sein wird, in welchem Maß es Einzelpersonen möglich ist, ihre Interessen mit Hilfe zu verteidigen. Aber dieser Ausschuss beschäftigt sich nicht mit Fragen der Pressefreiheit. Meiner Überzeugung nach ist es inakzeptabel, Medienorganisationen ohne Gerichtsverfahren zu schließen. Diese Medienhäuser sollten wieder geöffnet, ihre Vermögenswerte zurückerstattet werden, so lange ein Rechtsverfahren anhängig ist. Der Ausschuss befasst sich mit Problemen (wie der Entlassung aus dem Staatsdienst, Anm. d. Red.), die ich im Oktober 2016 in einem anderen Bericht über den Ausnahmezustand hervorgehoben habe.

Sie schreiben auch von "zunehmenden rechtlichen Verfolgungen gegen weite Schichten der Gesellschaft"…

Wir verfolgen seit mehr als einem Jahr mit Sorge, wie die Unabhängigkeit der Justiz erodiert ist. Der Europarat verwendet sehr viel Mühe darauf, der Türkei bei Justizreformen zu helfen, Richter auszubilden, das Verfassungsgericht zu stärken. Zeitweise haben wir dabei Fortschritte gemacht, jetzt aber beobachten wir einen deutlichen Rückfall. Die Justiz ist ein Werkzeug zur Verfolgung geworden, insbesondere durch die neuen Friedensrichter, deren Amt eigentlich als ein Reformschritt gedacht war. Die Autorität des Verfassungsgerichts ist durch Handlungen und Äußerungen des Staatspräsidenten untergraben worden. Die Rechtsprechung in den Gerichten insgesamt folgt seltener dem Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das ist ein enormes Problem, das die Meinungsfreiheit ebenso wie andere Grundrechte antastet (…).

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