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Politik: Menschenwürde für alle

Karlsruhe prüft die Leistungen für Asylbewerber. Sie sollen reformiert werden, doch einfach ist das nicht.

Gewollt sind sie nicht, dafür reicht ein Blick ins Gesetz. Asylbewerber sollen mit wenig auskommen, und im Prinzip sollen es Sachleistungen sein, kein Geld. Gebrauchsgüter im Haushalt können geliehen werden. Mögliche Geldleistungen sind noch in D-Mark angegeben. Jetzt könnte das letzte Stündlein des ebenso strengen wie überkommenen Reglements geschlagen haben. Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch deutlich gemacht, dass die Paragrafen sein Urteil wohl nicht überleben werden. Es werde zu klären sein, sagte der Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhof, ob der Gesetzgeber die Grundleistung „in einem transparenten und sachgerechten Verfahren, realitätsgerecht sowie nachvollziehbar, auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren bemessen hat“.

Eine rhetorische Frage. Hat er nicht. Dass mit dem geltenden Recht die aus dem Urteil zu Hartz IV stammenden Maßstäbe unerfüllt bleiben, bezweifelt nicht einmal die Bundesregierung. Sie arbeitet an einer Reform. Auf die entscheidende Frage, wie lange dies noch dauern werde, wusste die Vertreterin aus dem Haus von Ursula von der Leyens Sozialministerium allerdings auch am Mittwoch noch keine Antwort. „Absehbar“, sagte Staatssekretärin Annette Niederfranke. „Wir haben uns auf den Weg gemacht.“

Den Verfassungsrichtern liegen Beschlüsse des nordrhein-westfälischen Landessozialgerichts vor, das die aktuellen Sätze für verfassungswidrig hält. Sie liegen bei derzeit rund 220 Euro pro Erwachsenem, für die Kinder werden sie nach Alter berechnet. Die Regelleistung für Hartz-IV-Empfänger liegt bei 364 Euro neben Unterkunft und Heizung. Die Fälle spiegeln das typische Schicksal jener, die Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Längst geht es nicht mehr nur um politisch Verfolgte, sondern allgemein um Ausländer mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus, allen voran geduldeten (Kriegs-)Flüchtlingen. 130 000 Empfänger sollen es zurzeit sein, 90 000 davon hängen seit mehr als sechs Jahren in dem ungeklärten Status fest.

Vor knapp 20 Jahren war das strittige Gesetz als Annex zum sogenannten Asylkompromiss verabschiedet worden, um den damals überbordenden Zustrom zu bremsen. Einreisewillige sollte es schon aus der Ferne abschrecken. Mittlerweile ist es den Ländern und Kommunen überlassen, wie sie die Betroffenen alimentieren. Es herrscht Durcheinander. Bayern pflegt die Kargheit der Sachleistungen, sprich Essen, Bett und Zahnbürste, in Berlin gibt es stattdessen Geld.

Auskömmlich seien die Bezüge, meint die Bundesregierung wörtlich, wobei seit Erlass des Gesetzes eine Teuerung von rund 30 Prozent zu Buche schlägt. Spätestens mit dem Hartz-Urteil war allen klar, dass etwas passieren musste. „Der Senat hat gesagt, was zu tun ist, aber ein Gesetzentwurf liegt nicht vor“, kritisierte die in diesem Verfahren federführende Richterin Susanne Baer. Die Menschenwürde gelte für alle, nicht nur für Deutsche.

So einfach, wie es scheint, ist die Lage dennoch nicht. Zum einen hatte es das Gericht schon in früheren Urteilen zugelassen, dass es neben der Sozialhilfe ein Sondersystem des Asylunterhalts geben darf. Klar ist auch, das Gericht legt keine neuen Mindestgrenzen fest, sondern belässt dem Parlament politischen Gestaltungsspielraum. Zum anderen steht Deutschland in Europa nicht allein da. Die Europäer wollen ein nivelliertes System, um den ungewünschten „Pull-Effekt“ auszuschalten, der Flüchtlinge von einem Land in ein anderes hinüberzieht, in dem sie bessere Umstände erwarten. Im Klartext: Deutschland kann nicht teuer machen, was der gemeinsame Asylraum EU billig haben will. Zugleich kann es den grundrechtlichen Anspruch auf das Existenzminimum nicht ignorieren.

Den Rechtsvertreter der Regierung Kay Hailbronner zwang die Lage in manche Pirouette. Nicht allein der „mathematische Vergleich“ mit Hartz zähle, sagte er, sondern auch die Folgen für die EU. Auf Unverständnis bei den Richtern traf auch, dass die Sätze nie angehoben worden seien, obwohl zuletzt zum Jahresanfang eine Prüfung angestanden hätte.

Menschen- und Flüchtlingsrechtler kritisierten vor Gericht vor allem die Situation der Kinder. Unabhängig von den Regeln für Erwachsene dürften sie nach internationalen Standards nicht länger unter der Ungleichbehandlung mit Sozialhilfekindern leiden, hieß es. Die Vertreterin des Sozialministeriums sagte zu, der Anspruch auf das Bildungspaket, den es für Kinder aus Hartz-Familien gibt, werde auch in dem reformierten Gesetz festgeschrieben. Ob das Sachleistungsprinzip noch zeitgemäß ist, werde evaluiert. Ein Urteil wird in einigen Monaten erwartet.

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