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Politik: „Menschlichkeit wird hier zerstört“

Polizeiseelsorger Andreas Schorlemmer über verbale Gewalt bei G-8-Demos

Wie ist die Stimmung bei der Polizei nach Tagen des teils gewaltsamen Protests?

Das Schlimmste sind die Gerüchte. Sie sind wie Gerüche, die durch jede Ritze ziehen. Da hört man mal von Toten, von abgeschnittenen Fingern, dann löst sich alles wieder in Rauch auf. Aber die Stimmung unter den Beamten ist sehr professionell. Von Niedergeschlagenheit kann keine Rede sein, auch nicht von Wut.

Wie bewerten Sie die Arbeit der Polizei und was sind die größten Probleme?

Die Strategie der Polizei kann ich nicht beurteilen, aber eines ist klar: Gegen eine solche Menschenmasse ist man manchmal machtlos. Denn diese Vielzahl lässt sich vorher nicht zur Planung in eine Excel-Tabelle packen. Schwierig wird es für die Polizisten auch durch die physische und psychische Belastung.

Wie sehen diese Belastungen aus?

Es ist heiß, stickig und laut, und die Beamten stehen in kiloschweren Ausrüstungen teilweise stundenlang rum und müssen sich dann urplötzlich bewegen. Das ist anstrengend. Genau wie die verbale Gewalt. Polizisten werden von einigen als Säcke, Säue und was nicht alles wüst beschimpft. Menschlichkeit wird hier auf diesem Weg regelrecht zerstört. Das regt mich auf, weil diese Leute sonst keine Argumente haben. Die Beamten müssen alles runterwürgen. Aber es sind nur Einzelne. Die, die friedlich demonstrieren, haben sehr gute Argumente.

Wie sieht Ihre Arbeit vor Ort genau aus?

Präventiv kann man hier nicht viel machen, es ist mehr eine Mitsorge als eine Fürsorge. Ich laufe mit, fühle mit, denke mit, setze mich auch den Belastungen aus und höre vor allem zu.

Was sind die Anliegen der Polizisten?

Viele kommen mit richtig existenziellen Fragen. Es geht um den eigenen Umgang mit Gewalt. Wie man sich selbst verhält. Wir reden dann drüber und die Beamten können so eine Last abladen und ich kann ihnen Mut zu sprechen und sagen: Kopf hoch! Aber auch mit den Demonstranten bin ich im Gespräch. Mit ihnen diskutiert man auch über ihre Anliegen.

Setzen sich auch die Beamten damit auseinander?

Nicht vor Ort. Die freie Zeit, die sie haben, brauchen sie zur Erholung. Aber in der Polizei gibt es viele mit einem kritischen Geist.

Sie sind bei den schweren Ausschreitungen auch im schwarzen Block mitgelaufen. Wie fielen die Reaktionen aus?

Nun, sie waren vor allem verwundert darüber, dass es so etwas wie mich hier gibt. Es kam die Frage auf, wofür die Polizei einen Seelsorger bräuchte. Und ich habe gemerkt, wie auf einmal ein bestimmtes Bild von Polizisten in ihren Köpfen waberte. Da passte es für die, dass sich jetzt auch noch die Kirche an die Seite der Polizei stellt.

Das Gespräch führte Christian Tretbar.

Andreas Schorlemmer ist evangelischer Pfarrer und seit zehn Jahren Polizeiseelsorger. Er ist einer von 20 Theologen, die rund um die G-8-Proteste psychologischen Beistand leisten.

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