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Merkel besucht Obama: Atlantische Gesten

Angela Merkel wird in Washington für ihre USA-Politik geehrt – dabei könnte sie Barack Obama mehr unterstützen.

Sie spricht auf Deutsch, mit philosophischen Überlegungen – „Zeit ist das wertvollste Gut, das wir haben“ – und mit Worten wie „Lebensplanung“, die Amerikanern eher selten über die Lippen kommen. Auch inhaltlich geht Angela Merkel bei ihrer Dankesrede des „Eric-M.-Warburg-Preises“ für deutsch-amerikanische Verständigung in Washington mit deutscher Gründlichkeit vor: Sie beginnt mit dem Rückblick auf die Geschichte, angefangen vom ersten deutschen Einwanderer auf dem neuen Kontinent vor 400 Jahren, und erörtert systematisch drei Hauptanliegen für ihren Antrittsbesuch bei Präsident Barack Obama, nämlich Sicherheitspolitik, Finanzkrise und Klimaschutz. Ein amerikanischer Politiker hätte bei einem vergleichbaren Anlass höchstens halb so lang gesprochen.

Zugleich zeigt die Kanzlerin eine bemerkenswerte Annäherung an den Stil ihres Gastgebers, redet mit Witz und Selbstironie, flicht biografische Informationen ein und verbreitet Optimismus, dass sich die Welt manchmal doch schneller als geahnt zum Besseren wende. In ihren Überlegungen zur Iranpolitik oder dem Nato- Einsatz in Afghanistan betont sie Grundsätze, die man in den USA öfter hört als in den deutschen Debatten. Im Atomstreit mit Teheran werde sie „an der Seite der Vereinigten Staaten stehen“ und, falls es nicht zu einer Einigung komme, den Druck mit schärferen Sanktionen verstärken. Zu Afghanistan sagt sie kurz nach dem Tod mehrerer Bundeswehrsoldaten, dass die Stabilisierung dort ohne eine starke militärische Komponente nicht zu erreichen sei.

„Das Schicksal hat es gut mit uns gemeint“, bekräftigt sie, nachdem der ehemalige republikanische Senator Chuck Hagel als Laudator ihre Führungskraft im transatlantischen Verhältnis gelobt hat. Früher als erwartet habe es mit ihrer ersten USA-Reise geklappt. Die „Lebensplanung“ der DDR-Bürgerin Merkel sei gewesen, mit 60 in Rente zu gehen, sich dank der Reisefreiheit für DDR-Rentner den bundesdeutschen Pass zu holen und als Erstes in die USA zu reisen. Das Publikum in der „Library of Congress“ reagiert mit dem erwartbaren Lachen. Die Weltgeschichte verlief anders, also muss die 54-Jährige nicht weitere sechs Jahre in einem DDR-Institut versauern, sondern spricht als Kanzlerin in der diesjährigen Modefarbe Pink vor drei Sternenbannern und drei Fahnen in Schwarz-Rot-Gold. Wenig amerikanische Politprominenz ist bei der Ehrung für Merkel zugegen. Das ändert sich erst am Freitag bei ihrem Besuch im Weißen Haus.

Nun „beobachte ich mit Freude, wie der neue Präsident Barack Obama Türen aufstößt“, sagt sie zu seiner Rede an die Muslime in Kairo und dem Gesetzesentwurf zum Klimaschutz, der am Freitag im US-Abgeordnetenhaus auf der Tagesordnung stand. Und wo sind die Veränderungen in der deutschen Politik, werden einige Gäste beim anschließenden Empfang fragen. Wo hat sich die Bundesregierung bewegt, um Obama bei der inneramerikanischen Politikwende zu helfen, zum Beispiel durch Aufnahme von Guantanamohäftlingen oder die Entsendung von mehr Soldaten nach Afghanistan oder beim verstärkten Druck auf menschenverachtende Regime, auch wenn das deutsche Wirtschaftsinteressen beeinträchtigt?

Dabei hält Merkel 2009 für ein Schlüsseljahr, in dem sich „die Frage entscheidet, wie die Welt künftig zusammenleben will“. Entweder reagieren die Staaten mit neuen Regeln für die Finanzmärkte auf die Krise oder sie riskieren eine Wiederholung. Ähnlich existenziell spricht sie über den Klimaschutz. Sie wird freilich wissen, dass die Amerikaner in beiden Themenfeldern mehrheitlich anders denken als die Deutschen. Auch hier versucht sie es einerseits mit einer eigenwilligen Beschreibung der Lage und andererseits mit Humor. Es sei heute „unstrittig, dass wir mehr Regeln brauchen“. Da würden wohl manche angelsächsische Politiker widersprechen. Sie sei freilich „nicht hundertprozentig sicher, dass auch die Banken die Lehren verstanden haben“. Die Formel „too big to fail“, derzufolge manche Konzerne zu groß sind, um sie pleitegehen zu lassen, würde einige Wirtschaftsbosse in zu großer Sicherheit wiegen.

Das Klimaschutzgesetz, das der Kongress am Freitag behandelte, begrüßte die Kanzlerin ironisch. Sie habe noch gut in Erinnerung, wie der Kyoto-Pakt vor wenigen Jahren im US-Senat komplett durchgefallen sei. „Es bewegt sich also doch etwas.“ Wieder lacht das Publikum. Der explizite Verweis auf den Senat könnte freilich auch bedeuten, dass Merkel sehr wohl weiß, wie gering die Aussichten sind, dass die USA sich noch vor der Klimakonferenz in Kopenhagen zu mehr Klimaschutz verpflichten. Im Abgeordnetenhaus gibt es 2009 eine Mehrheit dafür, aber nach wie vor nicht im Senat.

„Wir müssen alles tun, damit Kopenhagen ein Erfolg wird“, rief die Kanzlerin zum Abschluss ihrer Rede. Es klang wie ein Hilferuf an Obama. Es könnte freilich sein, dass die Aufgabe, den Senat herumzukriegen, selbst seine Wunderheilerkräfte überfordert. An deutschen Appellen hat es jedenfalls nicht gemangelt.

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