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Politik: Merkel fühlt sich an 1989 erinnert

Die Kanzlerin stellt sich an die Seite der Demonstranten – warnt aber vor zu raschen Wahlen

Alle Welt schaut auf Ägypten – und darauf, wie die Spitzenpolitiker der Welt mit der Revolution umgehen. In München sitzen an diesem Wochenende bei der Sicherheitskonferenz so viele entscheidende Köpfe beisammen, wie selten, wenn es solche Umwälzungen gibt. Offenbar haben die Akteure gemerkt, dass von ihnen Erklärungen erwartet werden. Dass viele Beobachter den Eindruck haben, sie seien viel zu zögerlich – die Amerikaner, die Europäer, die Deutschen. Aus den schwarzen Ledersesseln und vom weißen Rednerpult bekamen die Kritiker nun aus Deutschland, Europa und Amerika die Botschaft zu hören: Ihr seid zu ungeduldig. Übergang braucht Zeit, Planung, Strukturen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel machte sich selbstbewusst auf in die eigene Vergangenheit, um das Dilemma zu erklären. Sie stellte sich an die Seite der Demonstranten in Kairo: „Wer wären wir denn, wenn wir nicht sagen würden, wir stehen auf der Seite der Menschen?“ Doch gleichzeitig warnte sie vor ganz schnellen Wahlen. „Wir haben auch keinen Tag warten wollen, wir wollten die D-Mark sofort“, zog sie die Parallele. Als am 3. Oktober 1990 die Einheit kam, sei sie aber froh gewesen, dass „ein paar Leute“ das vorbereitet hätten: „Wandel muss gestaltet werden.“ Für die Wahlen habe ihre Partei damals „absolut die richtigen Ideen“ gehabt, aber nur „satte 0,9 Prozent“ geholt. Das, so ihr Schluss, sollte Mahnung auch für den Übergang im Nahen und Mittleren Osten sein. Und das gelte auch für gute Ratschläge an Ägypten. Den Übergang müssten die Menschen dort selbst miteinander organisieren. Auch dafür hatte sie das eigene Beispiel parat. Damals seien auch immer Westdeutsche gekommen, um den Ostdeutschen den richtigen Weg zu weisen. Da hätten sie sich öfter mal „einfach auf dem Hacken umgedreht“. Die Ägypter würden heute auch nicht gerade auf Rat warten. Man solle „auf die Leute hören, was sie sagen und nicht sagen, was sie zu tun haben.“ Das Wichtigste sei, dass Präsident Husni Mubarak gesagt habe, er trete nicht mehr an.

In Ägypten dürfe niemand eine Westminster-Demokratie erwarten, aber es gebe eine „rote Linie“, die nicht überschritten werden dürfe: die UN-Konvention für Menschenrechte. „Wir müssen uns fragen, haben wir das immer ausreichend gemacht“, gestand Merkel indirekt Fehler ein. Trotzdem dürfe der Westen auch stolz sagen, die neuen Revolten mit Facebook und Twitter basierten auf Erfindungen „aus freiheitlichen Gesellschaften“.

Ganz klar wurde allerdings auch in München nicht, ob die Welt wirklich wüsste, was sie raten sollte, wenn sie gefragt würde. Hinter den Kulissen jagte ein bilaterales Treffen das nächste – nicht zuletzt, um Einschätzungen abzugleichen, was denn von den verschiedenen Akteuren in Ägypten zu halten sei. Niemand wagt vorauszusagen, wie die Sache ausgehen wird.

US-Außenministerin Hillary Clinton warnte, das Chaos könne sogar noch schlimmer werden und am Ende auch wieder eine Diktatur stehen. Die ganze Region sei von einem „perfekten Sturm“ junger Menschen erfasst. Aber: „Wahlen allein reichen nicht.“ Ein geordneter Übergang mit international beobachteten Wahlen im September müsse gut geplant sein, alle wichtigen Gruppen einschließen, zu denen sie das Militär zählt, und transparent sein. Clinton setzt offensichtlich darauf, dass Mubaraks neuer Vize Suleiman diesen Übergang organisieren kann. Präsident Obamas Sondergesandter Frank Wisner machte, per Video aus New York zugeschaltet, am Abend deutlich, dass die USA für den fragilen Übergang auch auf die Verantwortung Mubaraks setzen. Wie das genau gehen soll, blieb unkar. Wenn er jetzt als Präsident zurücktrete, würden Wahlen unter den heutigen Bedingungen stattfinden, so Wisner. Man solle die existierende Regierung mit Respekt, nicht feindlich behandeln – nicht zuletzt, um die Kommunikationswege nicht zu zerstören. Kenneth Ross von Human Rights Watch erklärte jedoch, Mubarak könne nach der Verfassung sein Amt auch an einen anderen delegieren.

Hillary Clinton hatte am Vormittag betont, dass alle, die sich nicht Toleranz und Gewaltlosigkeit verpflichteten, am Verhandlungstisch nichts zu suchen hätten. Außerdem mahnte sie alle „Führungskräfte“ in anderen Ländern, sich um die Rechte ihrer Bevölkerungen zu kümmern. Wer keine Freiheit gewähre, öffne die Tür zur Instabilität. Die auffällig selbst von Clinton als wichtig gepriesene Vertreterin der neuen europäischen Außenpolitik Catherine Ashton bieb blass. Sie sagte nach der Sitzung des Nahost-Quartetts, dass man angesichts der dramatischen Ereignisse Anfang März mit Israelis und Palästinensern reden will. Israels Sicherheitsberater Uzi Arad, nannte es später absurd, wenn die Friedensgespräche abgebrochen würden.

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