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Merkel in der Türkei: Lehrfach Türkisch

Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht in Istanbul eine Schule, die aber nicht als Modell für Deutschland taugt.

Nach dem Streit über türkische Schulen in Deutschland bietet der Besuch im „Alman Lisesi“ für Bundeskanzlerin Angela Merkel am zweiten Tag ihres Istanbulbesuchs die Möglichkeit, sich aus erster Hand über Erfahrungen mit deutsch-türkischen Schulen zu informieren. Türkische Regierungsvertreter hatten das Gymnasium schließlich als Vorbild für mögliche türkische Schulen in der Bundesrepublik genannt.

Doch Schulleiter Richard Reinhold ist nicht so sicher, ob das stimmt mit der Modellfunktion. „Ich habe da meine Zweifel“, sagte er dem Tagesspiegel in Istanbul. Vier von fünf Schülern am „Alman Lisesi“ sind Türken, nur 20 Prozent Deutsche. Tausend türkische Anwärter hat Reinhold pro Platz, hier wird eine Elitebildung vermittelt. „Um das umgekehrt anzuwenden, muss man sich fragen, ob sich in Deutschland 80 Prozent deutsche Schüler fänden, die das wollen.“ Deshalb sei seine Schule als Modell „kaum anwendbar“.

An Reinholds Schule werden türkische und deutsche Kinder in zwei unterschiedlichen Zweigen unterrichtet. Ein Zweig ist für die türkischen Eliteschüler, die über ein hartes staatliches Auswahlverfahren aufgenommen werden. Am anderen Zweig werden deutsche Schüler unterrichtet, für die es keinerlei Aufnahmehürden gibt: Die deutsche Staatsbürgerschaft genügt meist. Die Lehrpläne am türkischen Zweig der Schule richten sich nach den Vorgaben des türkischen Bildungsministeriums; die Schüler können außer dem türkischen „Lise“-Abschluss auch das deutsche Abitur erwerben. Unterrichtet wird auf Türkisch und auf Deutsch. Die deutschen Schüler werden in ihrem Zweig dagegen ausschließlich auf Deutsch unterrichtet. Nur in den fünften und sechsten Klasse lernen die Deutschen Türkisch. Von Bilingualität als Bildungsziel kann in Istanbul also keine Rede sein.

Achtjährige Schulpflicht in staatlichen türkischen Schulen

Bei einer Podiumsdiskussion mit Merkel geht es um die Frage, warum türkische Schüler erst nach dem achten Schuljahr an diese Schule kommen dürfen. Die Antwort wäre: Weil die türkischen Militärs das so wollen. Aber das kann Außenminister Ahmed Davutoglu nicht gut sagen bei einer öffentlichen Veranstaltung. Also zögert er, und dann sagt er: „Eine Gesetzesänderung ist schwierig.“

Die achtjährige Schulpflicht in staatlichen türkischen Schulen geht auf den sogenannten postmodernen Putsch in der Türkei vor 13 Jahren zurück. Das Militär diktierte der damaligen Regierung des islamisch orientierten Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan diese Vorschrift. Die Generäle wollten die aufstrebende anatolische Mittelschicht daran hindern, ihre Kinder auf die Mittelschulen der beliebten Religionsgymnasien zu schicken. Die frommen Mittelschulen mussten tatsächlich schließen, und die Regierung Erbakan musste zurücktreten. Zugleich wurde Millionen türkischen Kindern damit aber auch der Besuch anderer Mittelschulen wie etwa der Deutschen Schule vor dem neunten Schuljahr versagt – ein bildungspolitisches Erdbeben, dessen Erschütterungen noch immer spürbar sind.

Nicht nur für Merkel ist das Thema des muttersprachlichen Unterrichts voller Untiefen. Auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der in den vergangenen Tagen öffentlich türkische Schulen in Deutschland angemahnt hatte, hat einige Fragen zu beantworten. Der liberale Kolumnist Oral Calislar erinnerte den Premier am Dienstag in der Zeitung „Radikal“ daran, dass es für kurdische Kinder in der Türkei derzeit keine Möglichkeit gibt, die eigene Muttersprache in der Schule zu lernen. Das gebe der ganzen Debatte eine „ironische Note“, schrieb Calislar. Dass die Türkei dennoch von Deutschland für die dort lebenden Türken ein „Sprachrecht“ fordere, sei doch bemerkenswert. „Wir werfen der EU gerne vor, mit zweierlei Maß zu messen, aber wie sieht es denn bei uns selbst aus?“

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