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Merkel in Sotschi: Was läuft schief in der Kaukasus-Region?

Kurz nach den Morden an Menschenrechtlern im Nordkaukasus reist Angela Merkel an die russische Schwarzmeerküste. Was erwartet die Kanzlerin dort?

Der Ort, an dem der russische Präsident an diesem Freitag die Kanzlerin empfängt, hat Symbolcharakter. Sotschi, ein mondäner Badeort am Schwarzen Meer, ist wie gemacht für malerische Fotos. „Vertraulich und informell“ sollen die Gespräche sein, versprach der Kreml. Russland könnte sich hier von seiner besten Seite zeigen, schließlich soll Sotschi in fünf Jahren Austragungsort der Olympischen Winterspiele sein. Doch direkt hinter Sotschi erhebt sich der Kaukasus, hier beginnt die andere Seite Russlands. Nur ein paar hundert Kilometer entfernt – für russische Verhältnisse eine kurze Distanz – wurde Anfang dieser Woche ein Doppelmord an Menschenrechtlern verübt, der beim Gipfel zur Sprache kommen wird. Der Nordkaukasus selbst wird für den Kreml mehr und mehr zum Problem.

Was kennzeichnet die Region?

Der gesamte Kaukasus wird geprägt durch das Nebeneinander einer Vielzahl von Religionen und Ethnien. Rund 50 verschiedene Völker leben hier, verteilt auf die russischen Kaukasusrepubliken sowie die südkaukasischen Staaten Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor bald zwei Jahrzehnten ist die Region sechsmal von Kriegen erschüttert worden: dem Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach, den Kriegen innerhalb Georgiens um die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien, den beiden russischen Feldzügen in Tschetschenien, und zuletzt der Krieg zwischen Georgien und Russland um das kleine Südossetien.

Der nördliche Kaukasus kam auch nach dem offiziellen Ende des Tschetschenienkrieges nicht zur Ruhe – im Gegenteil. „Der bewaffnete Konflikt in Tschetschenien hat die Stabilität und die Sicherheit im Nordkaukasus beeinflusst und tut dies noch immer“, lautet die Bilanz von Human Rights Watch. Separatistische Bewegungen treten nach Ansicht von Experten aber gegenüber islamistischen Gruppierungen in den Hintergrund: „Im Nordkaukasus sind zunehmend islamistische Netzwerke aktiv“, sagt Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Diese wollen ein kaukasisches „Emirat“ errichten.

Wie ist die aktuelle Lage?

Mittlerweile sind Tschetscheniens Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan zu Brennpunkten der Gewalt geworden. Fast täglich werden dort Anschläge auf Militärs und Polizisten verübt, immer öfter trifft es nun auch die höchsten lokalen Repräsentanten der russischen Staatsmacht. Am Mittwoch wurde der Bauminister Inguschetiens in seinem Büro erschossen – ein Zeichen dafür, dass die Sicherheitskräfte ranghohe Politiker selbst in Regierungsgebäuden nicht mehr schützen können. Inguschetiens Präsident Junus-Bek Jewkurow wurde im Juni bei einem Bombenanschlag schwer verletzt. Auch eine Richterin des obersten Gerichts fiel einem Anschlag zum Opfer. In Dagestan wurde der Innenminister bei einer Hochzeit ermordet.

Die Hauptleidtragenden der Konflikte im Nordkaukasus sind aber die Bürger, die in der unübersichtlichen Gemengelage von russischer Armee, lokalen Milizen, Aufständischen und Kriminellen zwischen die Fronten geraten. Morde, Folter und willkürliche Festnahmen sind in Inguschetien an der Tagesordnung. Entführungen gelten im Nordkaukasus als lukratives Geschäft. Menschenrechtler und Journalisten müssen um ihr Leben fürchten, wie die Morde an Natalja Estemirowa und Sarema Sadulajewa gezeigt haben. „Wir sind sehr besorgt über die Situation von Menschenrechtsverteidigern und Nichtregierungsaktivisten im nördlichen Kaukasus“, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.

Bei ihrem Treffen mit Medwedew will Merkel die Morde ansprechen. Das geht der Opposition aber nicht weit genug. So fordert die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, die Kanzlerin solle auch „die politische Verantwortung der russischen Führung für die anhaltende Straflosigkeit im Nordkaukasus ansprechen“.

Hat Moskau noch die Kontrolle über den Nordkaukasus?

Die unruhigen Republiken drohen Moskau mehr und mehr zu entgleiten. „Der Nordkaukasus ist die Ohnmachtszone der Russischen Föderation“, sagt Halbach. Paradoxerweise ist es gerade Russlands Vorgehen im Südkaukasus, das den Separatistenbewegungen neuen Auftrieb gegeben hat. Nach der Anerkennung der von Georgien abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien meldeten die Inguscheten Ansprüche auf Unabhängigkeit von Moskau an. Die vom heutigen Premier Wladimir Putin etablierte Machtvertikale funktioniert nach Ansicht Halbachs in der Region nicht. Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow sei kaum noch lenkbar durch den Kreml und werde zum „Zauberlehrling“, sagt der Kaukasus-Experte.

Die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Alexejewa, geht sogar noch einen Schritt weiter. „Unsere Staatsmacht hat Strukturen geschaffen, die sie selbst nicht mehr kontrolliert“, sagte Russlands bekannteste Menschenrechtlerin dem Radiosender Echo Moskwy. „Jeder, der eine Waffe und einen Posten hat, macht alles, was er will und was in seinem Interesse ist, weil er weiß, dass er straffrei ausgeht.“ Das gelte nicht allein für den Nordkaukasus, sondern für ganz Russland.

Welche Versuche gab es, den Problemen der Region zu begegnen?

Die lokalen Regierungen und der Kreml haben vor allem auf Gewalt gesetzt, um den Nordkaukasus zu befrieden. Kadyrow, dem schwerste Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden, ist dafür das Paradebeispiel. Die Rebellen, die in den Tschetschenienkriegen gegen die russische Zentralmacht gekämpft hatten, zwang er in seine Sicherheitskräfte. „Wer sich nicht fügte, wurde ermordet“, sagt Halbach. Derzeit versucht Kadyrow offenbar, den in London lebenden Rebellenführer Achmed Sakajew nach Grosny zurückzuholen. Dieser verhandelt gerade mit einem Abgesandten Kadyrows über die Zukunft Tschetscheniens. Doch Sakajew spricht nicht für alle Separatisten, sein Aufruf, die Waffen niederzulegen, fand kein Gehör.

Ansätze zu politischen Lösungen im Nordkaukasus blieben bisher vergeblich. In Inguschetien hatte Präsident Jewkurow das Gespräch mit Kritikern gesucht, aber nach dem Anschlag auf ihn scheinen wieder die Hardliner am Zug. Versuche von westlicher Seite, die Probleme im Nordkaukasus auf internationaler Ebene anzugehen, scheiterten an Moskau.

Worum geht es beim Treffen von Merkel und Medwedew noch?

Wie bereits beim Gipfel in Sotschi vor einem Jahr könnte der Georgienkonflikt noch einmal zur Sprache kommen. Ansonsten sollen sich die Gespräche um wirtschaftliche Fragen drehen: die Folgen der Krise, die Vorbereitung des G-20-Gipfels und das Dauerthema Energieversorgung. Außerdem steht die Lage der insolventen Wadan-Werften in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Programm: Der Energiekonzern Gasprom ist offenbar an einem Kauf interessiert.

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