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Politik: Merkel - mit System (Kommentar)

Erinnert sich noch jemand an Björn Engholm? Nur wenige Jahre ist es her, da galt er als Hoffnungsträger der deutschen Sozialdemokratie.

Erinnert sich noch jemand an Björn Engholm? Nur wenige Jahre ist es her, da galt er als Hoffnungsträger der deutschen Sozialdemokratie. Enfant perdu. Kann einer aus dem Stand Zahl und Namen der Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten aufsagen, die an Helmut Kohl gescheitert sind? Auch vom Erfolgsduo Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder kam am Ende nur einer durch. Ein Blick auf die über 16-jährige jüngste Oppositionsgeschichte der aktuellen Kanzlerpartei kann die Hoffnungsträgerin der Union das Fürchten lehren.

Ist es da Hochmut oder nur angemessenes Selbstbewusstsein, wenn Angela Merkel sich zutraut, die Christlich-Demokratische Union bis zur nächsten Bundestagswahl aus dem Jammertal von Opposition und Krise zurück auf die lichten Höhen der Regierung zu führen? Antwort 2002.

Bisher hat sie wenig falsch gemacht. Die Delegitimation der christdemokratischen Parteielite durch den Zusammenbruch des "Systems Kohl" hat ihr eine Chance verschafft, und die hat Merkel genutzt. Wäre der Hesse Roland Koch nicht durch die Affären kontaminiert - gegen ihn wäre Merkel chancenlos gewesen. Die Öffentlichkeit betrachtet den Vorgang gebannt, mit wohlwollendem Erstaunen. Ähnlich die von ihr überholte Konkurrenz, nur ohne Wohlwollen. Die aufgestaute Missgunst gegenüber der Siegerin dürfte früh genug zur innerparteilichen Intrige gerinnen. Wenn die ersten Fehler sich einschleichen, wird der von Merkel zitierte Zauber des Anfangs schnell zum Fluch.

Anlässlich der Aufregung über eine wochenlang unbeachtete, sehr fachliche Ausarbeitung im Internet zum Thema Betriebsrenten musste Friedrich Merz, der Kollege Hoffnungsträger in der Bundestagsfraktion, den Unterschied zwischen einem gelobten Steuerexperten und einem Vorsitzenden-Lehrling erleben. Was er sagt, hat plötzlich Gewicht - alles. Falsch gewichtet, fällt es ihm schwer auf die Füße. Nun hat Angela Merkel sich für einen Generalsekretär entschieden, Ruprecht Polenz aus Münster. Ein guter Schachzug, heißt es. So werde der größte, mitgliederstärkste Landesverband der CDU eingebunden, Nordrhein-Westfalen; jener, an dessen Spitze Rivale Jürgen Rüttgers steht. Und aus dem Friedrich Merz kommt.

Merkel war in zwei Ressorts Bundesministerin, dann Generalsekretärin der Bundespartei, Merz immerhin Steuerexperte mit Bundespräsenz. Polenz beamt es aus der Hinterbank in die zweite Reihe. Sollte die Vorsitzende ihn auch erwählt haben, weil sie sicher sein will, dass er Sekretär bleibt (wie Kohls Peter Hintze), und nicht General werden will (wie Kohls Heiner Geißler)? Auch dies spräche immerhin für ihr taktisches Geschick - aber auch für ihr strategisches? Geböte Weitsicht nicht die Suche nach dem Besten statt nur nach dem am besten Passenden?

Die in Partei wie Publizistik beliebte These von der Krise als Chance macht sich gedruckt besser als im Leben. Schwer genug, dass ein Haufen neuer Leute in neuen Ämtern Gelegenheit hat, alte Fehler zu begehen; schwer genug, die CDU mit neuem Ideenmix neu zu erfinden. Die Partei braucht auch und keineswegs zuletzt ein neues Machtgefüge. Offene Debatten haben der alten CDU gefehlt; die neue darf deshalb auf Führung nicht verzichten. Merkel muss diskutieren lassen. Aber am Ende hat sie durchzusetzen. Das steigert nicht die Beliebtheit, mit dem Erfolg jedoch das Ansehen. Ob sie einmal in einem Atemzug mit Gerhard Schröder genannt wird oder mit Björn Engholm - der Prozess, an dessen Ende die Antwort stehen wird, hat heute begonnen.

Thomas Kröter

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