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Im niederbayerischen Deggendorf holte die AfD bei der Bundestagswahl 19,2 Prozent.

© dpa/ Armin Weigel

Merkel und die AfD: Der Gefühlsstau hat sich entladen, endlich!

Der Einzug der AfD in den Bundestag tut weh. Aber immerhin haben die Gegner des Wandels jetzt ein Gesicht, eine Stimme, eine Repräsentanz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Angela Merkel hat Deutschland verändert. Sie hat die Wehrpflicht abgeschafft, den Atomausstieg beschleunigt, Europas Schuldenländer mit deutschen Steuergeldern unterstützt, den Mindestlohn eingeführt, die Grenzen für mehr als eine Million Flüchtlinge geöffnet. Ökologisch, liberal, human und weltoffen: Von diesen Prinzipien hat sich die Kanzlerin leiten lassen. Manchmal geschahen die Dinge, auch ohne dass ein Prinzip sie bewirkt hätte. 

Nun hat sie die Quittung dafür bekommen. Acht Prozent weniger für die von ihr geführte Unionsfraktion, die AfD zieht mit 13 Prozent als drittstärkste Kraft in den Bundestag ein. Abgesehen von Stilfragen, die immer gestellt werden können, aber auch immer im Bereich des Hypothetischen angesiedelt sind – hat sich selbst nicht gut erklärt, das Land nicht mitgenommen -, drängt sich eine eher nüchterne Bilanz auf: Das eine ist der Preis für das andere, weil das eine ohne das andere nicht zu haben war. 

Warum wundern wir uns eigentlich über eine kleine, mitunter radikale Minderheit, die ein konservatives Familienbild vertritt, aus Deutschland kein Einwanderungsland machen will, Umweltnormen als Eingriff in ihre Freiheit empfindet, einer für sie fremden Religion wie dem Islam skeptisch bis ablehnend gegenübersteht? Na klar gibt es die. Aber es sind nur 13 Prozent! Das ist, gemessen an Brexit, Trump, Le Pen und anderen Phänomenen, ein verdammt kleiner Preis, den Deutschland für den dramatischen Wandel zahlen muss, der alle westlichen Demokratien ergreift. Die Zahl entspricht den meisten Studien.

Der Diskurs wird rauer

Nur als Gedankenexperiment: Wo stünde die Union wohl heute, wenn sie sich all den Faktoren dieses Wandels verweigert hätte? Wenn sie stehengeblieben wäre beim Europa der Nationalstaaten und Wasserwerfer an deutschen Grenzen eingesetzt hätte? Vielleicht stünde sie dann, als Sammelbecken von Ewiggestrigen, bei unter 30 Prozent. 

Der Einzug der Rechtspopulisten in den Bundestag tut weh. Aber immerhin haben die Gegner des Wandels jetzt ein Gesicht, eine Stimme, eine Repräsentanz. Der Gefühlsstau hat sich entladen. Das macht den demokratischen Diskurs rauer. Offener Rassismus und Geschichtsrelativismus war bislang ein Randphänomen, aber der versteckte, verheimlichte war es nie. 

Vorbei ist es mit der Gemütlichkeit, die durch das Ausblenden des Hässlichen lange Zeit möglich war. Vorbei mit der Behaglichkeit und dem Selbstbetrug, der in dem Glauben bestand, die Welt würde wie von selbst und ohne Widerstände stetig besser werden. Willkommen also in der Wirklichkeit! Willkommen in einem unvollendeten Projekt! Willkommen in einem Land, in dem nicht jeder von allen willkommen geheißen wird! 

Als Merkel im Herbst 2015 sagte „Wir schaffen das“, klang das zuversichtlich, aber auch naiv. Wir schaffen das: Der Vorsatz gilt immer noch, weil er – um es im Kanzlerdeutsch zu sagen – alternativlos ist. Nur wird er jetzt von einem ernsten Trotz begleitet. „Nicht resigniert, nur reichlich desillusioniert, ein bisschen was hab‘ ich kapiert“: Die Zeilen aus dem Bap-Lied („Verdamp lang her“) könnten das Motto am Tag nach dieser Bundestagswahl sein.

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