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Im August hatte die Bundesregierung die NSA-Affäre für beendet erklärt.

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Merkels Handy abgehört?: NSA-Affäre kommt mit voller Wucht zurück

Im August hatte die Bundesregierung die NSA-Affäre für beendet erklärt - vorschnell, wie nun durch den Abhörverdacht auf ein Handy der Kanzlerin deutlich wird. Der Vorfall droht das transatlantische Verhältnis stark zu belasten.

Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar hat der Bundesregierung Versäumnisse bei der Aufklärung der NSA-Affäre vorgeworfen. “Der Bericht, dass auch das Mobiltelefon der Kanzlerin abgehört wurde, belegt, wie absurd der politische Versuch war, die Debatte über die Überwachung alltäglicher Kommunikation hierzulande für beendet zu erklären“, sagte Schaar der “Mittelbayerischen Zeitung“ vom Donnerstag. “Angesichts der neuen Enthüllungen war es geradezu verantwortungslos, die Aufklärung nicht entschiedener vorangetrieben zu haben.“ Jetzt müssten alle Fakten auf den Tisch.

Ronald Pofalla erklärte NSA-Affäre für beendet

Der für die Koordination der Geheimdienste zuständige Kanzleramtschef Ronald Pofalla hatte die NSA-Affäre im August für beendet erklärt. Ähnlich äußerte sich auch Merkel am 18. August in einem ZDF-Interview: “Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass die Fragen, die aufgeworfen sind, geklärt sind.“ Der Bundesregierung liegen nun allerdings Hinweise vor, wonach auch Merkels Handy möglicherweise durch US-Geheimdienste ausspioniert wurde.

Die Kanzlerin habe deswegen mit US-Präsident Barack Obama telefoniert und um eine sofortige und umfassende Aufklärung gebeten, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwochabend in Berlin mitgeteilt. “Sie machte deutlich, dass sie solche Praktiken, wenn sich die Hinweise bewahrheiten sollten, unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht.“ Obama sicherte Merkel nach Angaben seines Sprechers Jay Carney zu, dass die USA ihre Kommunikation nicht überwachten und dies auch in Zukunft nicht tun würden. Ob US-Dienste Merkels Telefon aber in der Vergangenheit ausspähten, ging aus dieser Stellungnahme nicht hervor. Darauf wurde auch in deutschen Regierungskreisen verwiesen.

Thomas De Maizière: Überwachung Merkels wäre "wirklich schlimm"

Nach den Hinweisen auf das möglicherweise abgehörte Merkel-Handy hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière die amerikanischen Geheimdienste kritisiert. “Wenn das zutrifft, was wir da hören, wäre das wirklich schlimm“, sagte er am Donnerstag in der ARD. “Die Amerikaner sind und bleiben unsere besten Freunde, aber so geht es gar nicht.“ Er persönlich gehe zwar seit Jahren davon aus, dass sein Handy abgehört werde. “Allerdings habe ich nicht mit den Amerikanern gerechnet“, fügte der frühere Kanzleramtschef hinzu.

De Maiziere forderte die USA auf, eine solche Überwachung zu stoppen: “Das ist nicht hinzunehmen und mindestens für die Zukunft aber sofort abzustellen.“ Zugleich schloss der CDU-Politiker Folgen für das transatlantische Verhältnis nicht aus: “Man kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.“ In Frankreich gebe es schließlich ähnliche Vorwürfe gegen die US-Geheimdienste.

Im transatlantischen Verhältnis droht großer Vertrauensverlust

Im August hatte die Bundesregierung die NSA-Affäre für beendet erklärt.
Im August hatte die Bundesregierung die NSA-Affäre für beendet erklärt.

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Die mutmaßliche Überwachung des Handys der Kanzlerin könnte nun nicht nur zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Berlin und Washington führen, auch das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Obama droht dauerhaft Schaden zu nehmen.

Nach allem, was aus der ersten Erklärung von Merkels Sprecher Steffen Seibert zu entnehmen war, schien die Kanzlerin in ihrem Telefonat mit dem Präsidenten am Mittwoch ordentlich Dampf abgelassen zu haben. Die ungewohnt scharfe öffentliche Reaktion deute auf Merkels Verärgerung hin, glaubt Steve Szabo, Direktor des Washingtoner Instituts Transatlantic Academy. Dass sie ihre Zurückhaltung aufgebe sei ein Indiz dafür, dass die Kanzlerin „persönlich“ getroffen sei. „Ich denke, die Beziehung zwischen ihr und Obama wird beschädigt sein“, sagt Szabo.

Merkel ist zentrale Ansprechpartnerin für Obama in Europa

Merkel hat sich für den US-Präsidenten vor allem in Wirtschaftsfragen zur zentralen Ansprechpartnerin in Europa entwickelt. Vor zwei Jahren hofierte Obama die Kanzlerin im Weißen Haus und verlieh ihr die Freiheitsmedaille, die höchste zivile Auszeichnung der USA. Als der Präsident Mitte Juni zu seinem ersten Staatsbesuch nach Berlin kam, sahen das nicht wenige als Wahlkampfhilfe für Merkel. Vergessen war die unangenehme Episode aus dem Sommer 2008, als die Kanzlerin den Präsidentschaftskandidaten Obama nicht vor dem Brandenburger Tor reden ließ.

Die neue Stufe des Überwachungsskandals sei für Merkel auch politisch ein „Ärgernis“, sagt Jack Janes, Präsident des American Institute for Contemporary German Studies an der Johns-Hopkins-Universität in Washington. Die Kanzlerin brauche Obama als Partner, um die geplante transatlantische Freihandelszone zu verwirklichen. Über die Einzelheiten der Spähvorwürfe ist bislang wenig bekannt.

Den Skandal ins Rollen brachte eine Recherche des Nachrichtenmagazins „Spiegel“, das in den vergangenen Monaten mehrfach über Dokumente des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden berichtete. Merkels Mobiltelefon war laut „Spiegel Online“ womöglich „über Jahre hinweg“ im Visier der NSA. Der Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) prüften den Angaben zufolge die Vorwürfe - und hielten sie für ausreichend plausibel, um die US-Regierung zu kontaktieren. Das Dementi des Weißen Hauses ließ viel Raum für Spekulationen.

Obama moderierte Verdacht gegen NSA bereits im Juli herunter

"Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt, dann rufe ich Kanzlerin Merkel an“, beteuerte Obama Anfang Juli, als das Bild der Datenkrake NSA zunehmend Form annahm. Die Enthüllungen über die systematische Überwachung von Internet- und Telefonverbindungen rund um den Erdball sorgten vor allem in der Bundesrepublik für Empörung. Merkel versprach Aufklärung, schickte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zu einem wenig ergiebigen Blitzbesuch nach Washington, im August erklärte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) die Affäre dann für beendet.

"Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung“, sagte Pofalla damals dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestags. Da ahnte er wohl nicht, dass offenbar auch die Kommunikation der Regierungsspitze angezapft wurde. (AFP/dpa/Reuters)

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