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Angela Merkel

© dpa

Merkels Politik: Die größere Kraft

Merkel, als Reformrevolutionärin vom Wähler verschmäht, hat sich zur Virtuosin des kleineren Übels gewandelt. Ihre machtpolitische Ausgangslage ist stark. Doch die größere Kraft, eine Linie zu finden, muss die Bundeskanzlerin selber aufbringen. Denn in einer Wunschkoalition ist sie größeren Erwartungen ausgesetzt.

Von Robert Birnbaum

In der klug genutzten Ohnmacht kann eine große Macht verborgen liegen. Angela Merkel hat in den ersten vier Jahren ihrer Kanzlerschaft nachhaltig vorgeführt, wie gut sie das begriffen hat. Nichts hat der CDU-Vorsitzenden so sehr dabei geholfen, die eiserne Rüstung der unpopulären Radikalreformerin Stück um Stück abzulegen, wie es die große Koalition getan hat. Sozusagen im Geleitzug der Sozialdemokraten, um nur ein Beispiel zu nennen, hat Merkel ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften repariert. Schulterzuckend eingeklemmt zwischen SPD und CSU hat sie ihre Familienministerin mehr Kinderbetreuung durchsetzen lassen und zugleich die Konservativen mit Betreuungsgeld ruhig gestellt.

Die Reihe lässt sich fortsetzen, das Prinzip bleibt gleich. Merkel, als Reformrevolutionärin vom Wähler verschmäht, hat sich zur Virtuosin des kleineren Übels gewandelt. Überzeugte politische Flügelkämpfer trieb das zur Verzweiflung oder, was in diesem Fall das Gleiche ist, zur FDP. Dass es diese Rebellen jetzt wieder mit der gleichen Kanzlerin zu tun bekommen, gehört zu den kleinen Ironien solcher Wählerwechsel.

Als die große Ironie dieses Regierungswechsels könnte sich rasch entpuppen, dass es wirklich die gleiche Kanzlerin ist. Was die einen gehofft und die anderen befürchtet haben – die Rückverwandlung der Angela Merkel in die schwarz-gelb Durchregierende –, bleibt erkennbar aus. Mehr noch, der Koalitionsvertrag ist bis zur Satire präzise in Kleinigkeiten für kleine Klientelgruppen und zum Heulen unverbindlich in großen Fragen. Das ist natürlich Absicht. Mit der Kritik an Unverbindlichkeit kann Merkel leben, mit dem Wort vom Fehlstart ebenfalls. Dafür gewinnt sie Spielraum. Feste Daten, Summen, Stufen zum Beispiel einer Steuerreform würden diesen Raum beschneiden. Die Erfahrung der Krise, die alle Pläne zu Makulatur werden ließ, dient ihr als willkommene Rechtfertigung.

Zu spüren kriegt das aktuell am deutlichsten die FDP. Guido Westerwelle hat sich dafür feiern lassen, dass er jeden Punkt seines Wahlaufrufs verwirklicht habe. Stimmt. Allerdings beruht Westerwelles Erfolg, ebenso wie der von Horst Seehofer, auf einer Art Märklin-Strategie: Wer konkrete Forderungen von vornherein bloß im Modellbahn-Maßstab erhebt, bekommt sie leicht erfüllt.

Mit den großen Wünschen dahinter wird es weit schwieriger. Merkels machtpolitische Ausgangslage ist stark. Seehofer braucht die Kanzlerin auf absehbare Zeit mehr als umgekehrt. Westerwelles FDP, koalitionär ohne Alternative, fehlt das letzte Druckmittel. Merkels machtvollste Widersacher sind im Prinzip die eigenen Länderfürsten. Die meisten können nicht mehr darauf hoffen, einmal selbst Kanzler zu werden. Sie können also Länderinteressen pur vertreten. Was indes zugleich bedeutet: Mit Mehrwertsteuerpunkten sind sie durchaus käuflich. Ihre Warnungen vor Steuerübermut betreiben ja aktuell sogar Merkels Geschäft. Die Länder werden damit, was bisher die SPD für die Kanzlerin war – der Grund, bedauernd mit der Schulter zu zucken, dass mehr leider nicht gehe.

Das alles freilich beschreibt nur Macht im Negativen. Die größere Kraft, eine Linie zu finden, muss Merkel selber aufbringen. Linie ist diesmal wichtiger als in der ersten Amtszeit. Von der großen Koalition hat keiner ernsthaft mehr erwartet, als dass sie anständig ihren Job macht. Die Kanzlerin einer Wunschkoalition ist größeren Erwartungen ausgesetzt. Das sehen die Koalitionäre vielleicht selbst gar nicht so. Aber ihre Wähler.

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