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Razzia. Soldaten nehmen Angehörige der lokalen Polizei fest, die Verbindungen zu Drogenkartellen haben sollen.

© dpa

Mexiko: Im Griff der Drogenmafia

In Mexiko tobt der Krieg zwischen Drogenkartellen und Staat immer heftiger – gefährdet sind auch Journalisten. Die Kartelle haben verstanden, sich die Medien zunutze zu machen.

Im Kampf zwischen den mexikanischen Drogenkartellen und dem Staat sind seit Dezember 2006 mehr als 28 000 Menschen getötet worden. Damals sagte Präsident Felipe Calderon der Drogenkriminalität den Kampf an. Rund 50 000 Polizisten und Soldaten sind dafür im Einsatz. Die Drogenkartelle kämpfen untereinander um die lukrativsten Schmuggelrouten in die USA. Immer öfter geraten auch Journalisten zwischen die Fronten.

Der jüngste Vorfall ereignete sich vor wenigen Tagen. Mehrere Reporter waren unterwegs zum Gefängnis von Gomez Palacio. In dem Knast im nordmexikanischen Bundesstaat Durango konnten bis vorige Woche einige Gefangene nach Gutdünken ein- und ausspazieren und mit der Ausrüstung ihrer Wächter im Auftrag eines Drogenkartells morden. Das Ganze mit Billigung der Gefängnisleitung, der örtlichen Polizei und der Justiz. Die Reporter aus Mexiko-Stadt wussten, worauf sie sich einließen. Für den Norden Mexikos gelten besondere Regeln der Berichterstattung: Brenzlige Geschichten werden nur noch von Sonderberichterstattern übernommen, die für einige Tage aus der Hauptstadt einfliegen. Sie sind in Gruppen unterwegs, nur bei Tageslicht.

Doch alle Vorsicht half nicht. Mexikos mächtigster Drogenboss Joaquin „El Chapo“ Guzman hatte sie im Visier. Ein schwer bewaffnetes Kommando lauerte den Journalisten auf, verbrannte ihre Autos und Kameras und verschleppte sie am helllichten Tag. An ihre Medien – den TV-Giganten Televisa und den Nachrichtensender Milenio – erging die Aufforderung, Videos des Kartells auszustrahlen, wenn sie ihre Reporter lebend wiedersehen wollten. Keine leere Drohung: In Mexiko sind nach Angaben von Reporter ohne Grenzen in den vergangenen vier Jahren 30 Journalisten ums Leben gekommen. Elf verschwanden spurlos.

Am Abend nach der Entführung blieb der Bildschirm der Televisa-Reportagesendung „Punto de Partida“ schwarz. Präsentatorin Denise Maerker sagte, die Arbeitsbedingungen für Journalisten hätten sich extrem verschlechtert, sie sei nicht in der Lage, ihr Programm auszustrahlen. Auch der Nachrichtensprecher von Milenio-TV appellierte eindringlich an die Regierung, die Pressefreiheit zu garantieren.

Der Chefredakteur der Zeitung „Excelsior“, Pascal Beltran, beklagt die dramatische Entwicklung bei der Einflussnahme der Drogenkartelle auf die Medien: Kritische Journalisten würden „bedroht und ermordet, Bombenattentate auf Redaktionen verübt und extreme Gewalt als Vehikel benutzt, um die Medien zu Berichterstattung zu zwingen“.

Straßenblockaden, Transparente mit Botschaften der Kartelle, Geköpfte an Strandpromenaden, Gemetzel bei Festen und in Entzugsanstalten, gefilmte Morde im Internet – die Kartelle übertreffen sich gegenseitig in einem morbiden Kampf um medienwirksame Gewalt, um damit Gesellschaft, Staat und gegnerische Kartelle einzuschüchtern. „Die Entführung von Journalisten, um die landesweite Ausstrahlung von Botschaften der Drogenkartelle zu erzwingen, ist eine Eskalation, die uns alle extrem verwundbar macht“, sagt Beltran. In den Videos, die ausgestrahlt werden sollten, ging es um die Verbindungen zwischen ranghohen Funktionären in Durango mit dem Kartell der Zetas, dem Hauptfeind „Chapo“ Guzmans.

Bisher waren vor allem die Lokaljournalisten im Norden Mexikos, wo der Drogenkrieg besonders heftig tobt, in Gefahr. „Dort ist die Pressefreiheit schon lange gestorben“, sagt Pablo Beauregard, ein Reporter von „Punta de Partida“. In dieser Region zeichnet schon lange kein Reporter mehr seine Geschichten mit Namen, zu den Tatorten kommen die Kollegen alle gemeinsam und erst, nachdem die Polizei das Gelände abgesperrt hat. Viele vermummen ihre Gesichter, damit sie nicht von Spitzeln der Kartelle erkannt werden. Selbstzensur ist gang und gäbe. „Wer mehr publiziert, als die amtlichen Erklärungen, spielt mit seinem Leben, so wie mein KollegeValentin Valdes aus Saltillo, der selbst Recherchen zu einem Mordfall anstellte und nach Veröffentlichung seines Artikels ermordet wurde.“ Als Beauregard den Fall recherchierte, stieß er auf eine Mauer des Schweigens. Aus Angst wollte nicht einmal die Familie des Ermordeten Auskunft geben.

„Die Kartelle haben verstanden, sich die Medien zunutze zu machen, nicht nur unter Gewaltandrohung, sondern auch unter Ausnutzung der Sensationsgier“, sagt Beltran, in dessen Zeitung Fotos von Ermordeten nicht mehr veröffentlicht werden. Doch viele andere Medien versuchen weiterhin, sich mit den blutrünstigsten Geschichten gegenseitig zu übertrumpfen. Präsident Felipe Calderon hat sich mehrfach über sensationslüsterne Berichterstattung beschwert. Doch ein Eingreifen der Regierung wäre die schlechteste Lösung, meint der Medienexperte und frühere Präsidentschaftssprecher Ruben Aguilar. „Die Medien selbst müssen ihre Berichterstattung hinterfragen und Kontrollen einrichten.“ Doch er ist skeptisch, ob es dazu kommt. „Die Medienkonzerne verfolgen ihre eigenen Interessen, wirtschaftlicher und auch politischer Art. Ethische oder gesellschaftliche Prioritäten bleiben dabei außen vor.“

Auch der Staat versagt kläglich. Rechtsstaat und Demokratie in Mexiko sind nicht nur durch die Kartelle bedroht, sondern auch durch marode Institutionen. Rocio Culebro vom Institut für Menschenrechte kritisiert, die Justiz sei korrupt und von parteipolitischen Interessen durchsetzt. Die Reporter, die für den 7. August zu einer Demonstration in Mexiko-Stadt aufgerufen haben, bleiben das schwächste Glied in der Kette. Die Entführten von Gomez Palacio, die nach sechs Tagen Geiselhaft von der Bundespolizei befreit wurden, waren geschlagen, bedroht, gefesselt und mit verbundenen Augen eingesperrt worden. Auf die Frage, was er denn nun vorhabe, antwortete der Kameramann Javier Canales von Milenio-TV: „Weitermachen, mit der Kamera auf der Schulter, was sonst?“

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