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Michael Naumann. Publizist.

© Rückeis/Spiekermann-Klaass/Schneider

Politik: MICHAEL NAUMANN

Er sieht immer noch blendend aus. Das fällt auf, wenn man ihn trifft.

Er sieht immer noch blendend aus. Das fällt auf, wenn man ihn trifft. Er trägt einen sehr hellen Anzug! Gut, Ende September war es noch heiß, aber man muss das erst mal schaffen, wenn man auf die 70 zugeht: im fast weißen Sommerstoff nicht falsch angezogen auszusehen.

Michael Naumanns Äußerliches, diese gewisse

Eleganz, auf die er selbst absolut keinen Wert legt, hatte immer Einfluss auf das Urteil seiner Kritiker und Neider. Sie reduzierten ihn, der nicht nur besser aussieht als andere, sondern auch schärfer denken und besser reden kann, gerne auf den Schöngeist, einen Salon-Linken, der Bücher liebt und segelt.

Und Naumann ärgerte das sogar noch.

Will man wissen, warum, muss man sich anschauen, was Linkssein bei Naumann bedeutet. Er gehört zu einer Generation, die noch Aufstiegserfahrungen gemacht haben, die Armut durch Bildung überwinden konnten. Neben dem Antifaschismus war die Aufstiegserfahrung prägend. Aus dieser

Erfahrung heraus ist Naumann Sozialdemokrat

geworden und hat eine hohe Sensibilität für soziale Schieflagen, für soziale Ungerechtigkeit entwickelt. Naumann kennt Armut. Er musste mit der Mutter und seinen Geschwistern 1953 aus Köthen,

Sachsen-Anhalt, über Hamburg nach Köln flüchten, weil die Mutter von ihrer anstehenden Verhaftung durch die Stasi erfahren hatte. In einem hässlichen Nachkriegsbau in Köln spielte er Tischtennis mit

einem späteren Mörder.

Naumann sitzt beim Mittagstisch, gebratene Blutwurst, Kartoffelbrei, Kölsch, und findet, dass die Bezeichnung „links“ heute „nichts mehr taugt“. Er ist für die Finanztransaktionssteuer, aber das sei kein linkes, eher „ein vernünftiges Anliegen“. Auch seine Hauptforderung, den unteren Schichten Bildung und soziale Teilhabe zu ermöglichen, hält er für ein „kernbürgerliches Projekt“. Anders als mancher Parteifunktionär hat Naumann Beachtliches geleistet. Und zwar nicht erst im journalistischen Olymp als „Zeit“-Herausgeber oder aktuell als Chefredakteur von „Cicero“. Er war Stipendiat in Oxford, Doktor,

Professor, Amerikakorrespondent, ein erfolgreicher Verleger und Staatsminister im Kanzleramt unter Gerhard Schröder. Als Staatsminister für Kultur hat er das Holocaustmahnmal auf den Weg gebracht, mutig die Kulturaufgaben des Bundes neu definiert und sich für ein modernes Stiftungsrecht eingesetzt.

Naumanns „Linkssein“ ist, wollte man es an diesem Wort festmachen, zunächst eine stete Unruhe, Neugierde, Umtriebigkeit, sie ist dann auch kulturelle Pose eines wirklich Belesenen, eines Weltbürgers, und schließlich ein konstantes Aufbegehrenwollen gegen die Mächtigen. Er gehört zu den Klägern gegen das umstrittene BKA-Gesetz. Als er im Wahlkampf als SPD-Spitzenkandidat in Hamburg

erfuhr, dass ein Mädchen mit Migrationshintergrund trotz guter Qualifikation wegen ihres Kopftuches bei einer Bank abgelehnt wurde, rief er empört: „Das ist der kleine Rassismus. Die Tuch-Mentalität der Hamburger.“

Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Marie Warburg sammelt er Geld für Human Rights Watch. Ansonsten, sagt Naumann, „bin ich ein Patriot“, dem das eigene Land gefalle. Er grübelt: „Linkssein ist eine Erinnerung.“ Armin Lehmann

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