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Michail Chodorkowski: Letzte Worte im Prozess

"Mut und Kraft" wünschte Michail Chodorkowski dem Richter Viktor Danilkin bei der Findung des Urteils, dessen Verkündung am 15. Dezember beginnen soll.

Wie immer es ausfalle: Es werde in die Geschichte Russlands eingehen und die Form bestimmen, in der die nächste Generation das Land übernimmt.

Der Prozess nämlich – so drückte es Juri Schmidt aus, einer der Anwälte Chodorkowskis, noch bevor sein Mandant am Dienstag von seinem Recht auf das letzte Wort Gebrauch machte – trage eindeutig „eine politische Färbung“ und „Züge eines Raubüberfalls“. Mit der Politik war Chodorkowskis Unterstützung für oppositionelle Parteien gemeint und die von ihm finanzierten alternativen Bildungsprogramme, mit denen er sich in die Erziehung künftiger Wähler eingemischt hatte. Der zweite Vorwurf war auf die Zerschlagung des Ölgiganten Jukos gemünzt, eines von Chodorkowski und dessen Juniorpartner Platon Lebedew nach westlichen Maßstäben geführten Vorzeigeunternehmens, das sich der staatsnahe Ölkonzern Rosneft Ende 2004 bei einer umstrittenen Versteigerung über Strohmänner einverleibte.

Ähnlich sehen das Menschenrechtler im In- und Ausland, westliche Politiker erhoben den Umgang mit der Causa Chodorkowski sogar zum Lackmustest für Russlands Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit. Schon im ersten Verfahren 2005, als Chodorkowski und Lebedew wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Straflager verurteilt wurden, war die Beweislage teils katastrophal. Im zweiten Prozess, der im März 2009 begann – diesmal ging es um Veruntreuung und Geldwäsche – war sie noch erbärmlicher. Mehrere ehemalige Minister traten als Entlastungszeugen auf und konnten glaubhaft machen, dass die Vorwürfe haltlos sind. Dennoch beantragte die Staatsanwaltschaft für Chodorkowski wie Lebedew jeweils 14 Jahre Haft.

Und das Ende ist womöglich noch nicht erreicht. Aus den sieben Jahre alten Ergebnissen zu Jukos nämlich haben sich die Ermittler sowohl im ersten als auch im zweiten Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew einzelne Straftatbestände herausgepickt und gesondert verhandeln lassen. Für die Anwältin Karinna Moskalenko – auch sie vertritt Chodorkowski – eine „Tabakdose, aus der immer neue Kobolde springen können“.

Boris Nemzow, einer der Führer der liberalen Opposition, ahnte es schon zu Beginn des zweiten Prozesses: Solange Putin in Russland an den Schalthebeln der Macht sitze, werde Chodorkowski hinter Gittern sitzen. Der sieht das genauso: Derzeit von einem Moskauer Gericht einen Freispruch zu erwarten, sei utopisch. Daher werde er beim letzten Wort des Angeklagten juristische Aspekte außen vor lassen – die Verteidigung hatte der Anklage im Prozess über 400 Fehler nachgewiesen, Lebedew den Staatsanwälten „organisierte Bandenkriminalität“ vorgeworfen. Stattdessen setzte sich Chodorkowski mit der Politik auseinander. Heraus kam dabei eine erbarmungslose Abrechnung mit der herrschenden Kaste und ein Rollentausch: Statt Chodorkowski und Lebedew schienen Putin und Medwedew auf der Anklagebank zu sitzen.

Russlands angebliche Stabilität, an der auch Exporterlöse und Steuern von Jukos einen Anteil haben, habe sich in Stillstand verwandelt, sagte Chodorkowski. Der Prozess gegen ihn und Lebedew zeige, dass es in Russland kein Recht auf Eigentum gebe und die Bürger bei Kollisionen mit dem System überhaupt rechtlos seien. Denkende Menschen würden Russland daher den Rücken kehren. Polizisten und Tschekisten aber seien mit der Modernisierung des Landes überfordert, wie schon die technisch hoffnungslos zurückgebliebene Sowjetunion gezeigt habe. Auch Russlands Modernisierung werde scheitern, solange Bemühungen der Privatwirtschaft um Produktionssteigerung und Erhöhung der Marktkapitalisierung als verbrecherisch qualifiziert und mit 14 Jahren Haft abgestraft werden sollten.

Der Gerichtssaal spendete stehend donnernden Applaus.

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