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Sie waren die ersten: Italienische Familien auf dem Bahnhof in Wolfsburg Anfang der 1970er Jahre.

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Migrantische Familien in Deutschland: Die neue Heimat ist stärker als die alte

Fast ein Drittel der Familien in Deutschland haben eine Migrationsgeschichte. Wie sie leben und woran sie glauben, hat das Familienministerium erforschen lassen.

Deutsche Leitkultur - was Konservative darunter verstehen, wird derzeit vor allem in Familien gelebt, die nicht rein deutsch sind. In Haushalten, in denen mindestens Vater oder Mutter einen Einwanderungsgeschichte haben, gibt es mehr Kinder (13 Prozent haben mehr als drei, aber nur acht Prozent derer ohne Migrationshintergrund), werden Erwerbs- und Hausarbeit nicht nur klassisch zwischen Frau und Mann aufgeteilt, sondern man glaubt dort auch eher daran, dass dies die natürliche Ordnung der Dinge sei.

Außerdem sind migrantische Familien öfter Paarfamilien, Alleinerziehende sind seltener: In 92 Prozent der Einwandererfamilien sind die Erwachsenen Ehepaare, aber nur in 84 Prozent der nichtmigrantischen Familien.  Nachzulesen ist dies im Dossier "Gelebte Vielfalt. Familien mit Migrationshintergrund in Deutschland", das das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben hatte und in dem es um Lage und Aussehen der wachsenden Zahl migrantischer Familien geht. Sie machen aktuell knapp ein Drittel aller Familien aus (31 Prozent). Von den Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland aufwachsen, haben sogar 34 Prozent einen Migrationshintergrund.

Die Werte der neuen Heimat ersetzen rasch die der alten

Doch das traditionellere Bild der Migrantenfamilie stimmt nur im Durchschnitt - polnische Familien in Deutschland haben zum Beispiel statistisch weniger Kinder (1,6) als autochthone deutsche (1,7). Und es ändert sich rasant. So stellt die Studie etwa fest, dass die Herkunft die Zahl der Kinder, die eine Frau bekommt, nicht bestimmt: Einwanderinnen nämlich bringen in der neuen deutschen Heimat zwar mehr Kinder zur Welt als biodeutsche Frauen - aber auch weniger als in ihrem Heimatland.

Schon in der nächsten Generation schwinden die Unterschiede völlig, da ist die durchschnittliche Kinderzahl migrantischer Familien von der im Land üblichen nicht mehr zu unterscheiden. Immerhin 43 Prozent der Eltern mit Migrationshintergrund geben zudem an, sie hätten "deutlich andere Vorstellungen von einer idealen Rollenaufteilung in der Familie" als noch ihre Eltern. Überhaupt zeige sich, so die Studie, "dass sich die Rollenbilder von Zugewanderten mit und ohne Kinder sehr schnell an die Denkmuster der jeweiligen neuen Heimat anpassen – speziell auch hinsichtlich der Erwerbstätigkeit von Frauen".

Flüchtlinge wollen am dringendsten Arbeit

Gerade da gibt es aktuell noch starke Unterschiede zwischen Frauen mit Einwanderungsgeschichte und solchen ohne. Zudem klaffen Wunsch und Wirklichkeit der Migrantinnen deutlich auseinander: Mehr als zwei Drittel von denen, die Kinder, aber keinen Job haben, wollen wieder arbeiten. Die Hälfte aller Migrantinnen mit Kindern tut dies auch (52 Prozent), aber sie liegen damit deutlich hinter den Müttern ohne Migrationshintergrund, von denen 73 Prozent erwerbstätig sind. Und das, obwohl sie im Schnitt viel stärker bereit sind als Alteingesessene, für eine Arbeit den Wohnort zu wechseln, lange Wege zur Arbeit auf sich zu nehmen oder - dies im Fall der Frauen - weniger Geld zu verdienen. Besonders groß ist der Wunsch, Arbeit zu haben, mit 78 Prozent bei Geflüchteten, wobei es kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt.

Den Bildungsstand von nichtmigrantischen und migrantischen Eltern an der Spitze nennen die Forscher wenig unterschiedlich: In 42 Prozent der migrantischen Familien hat entweder Vater oder Mutter Abitur oder Fachabitur gemacht - ein Abstand von sechs Prozentpunkten zu Eltern in nichtmigrantischen Familien. Den gleichen Abstand gibt es bei den Uni-Abschlüssen: Ein knappes Viertel (24 Prozent) der Einwandererfamilien verfügt darüber, 30 Prozent sind es in den Familien ohne Einwanderungsgeschichte. Frauen liegen übrigens vor den Männern: Abi, Fachabitur oder einen Realschulabschluss haben 58 Prozent der Mütter, aber nur 53 Prozent der Väter mit Migrationshintergrund.

Risiko Armut - sogar für Hochqualifizierte

Weit auseinander liegen Migranten und Nichtmigranten freilich am unteren Ende de Skala: 15 Prozent der migrantischer Mütter 13 Prozent der Väter haben überhaupt keinen Schulabschluss; unter Nichteingewanderten sind das nur zwei und ein Prozent. Eine deutliche Kluft trennt beide Gruppen auch, wenn es um qualifizierte - und in Deutschland anerkannte - Berufsabschlüsse geht: Mehr als ein Viertel (26 Prozent) der Migrantenfamilien haben keinen Erwachsenen, der einen solchen Abschluss hat - aber nur sechs Prozent der Familien ohne Migrationshintergrund.

Das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse von 2012 dürfte hier eine Verbesserung bringen, wie die Studie andeutet: 96 Prozent der Prüfungen führten etwa 2014 zur vollen oder teilweisen Anerkennung ausländischer Qualifikationen. Die Studie enthält allerdings Hinweise darauf, dass all dies nicht allein für einen weiteren großen und dramatischen Unterschied verantwortlich ist: das Armutsrisiko, das deutlich stärker Migrantenfamilien trifft. Während etwa 43 Prozent von ihnen armutsgefährdet sind, wenn sie drei oder mehr Kinder haben, gilt das nur für 19 Prozent der kinderreichen Familien ohne Einwanderungsgeschichte.

Von den Alleinerziehenden trifft es 53 statt 36 Prozent. Und sogar hochqualifizierte Einwandererfamilien sind viermal stärker gefährdet als nichtmigrantische Familien mit hoher Qualifikation. Dass selbst die Gutausgebildeten so deutlich geringere Chancen haben, erklären die Forscher mit Schranken, die nicht die Betroffenen zu verantworten haben: "eingeschränkte Verwertbarkeit ausländischer Hochschulabschlüsse, eine größere Bedeutung sehr guter Sprachkenntnisse bei akademischen Berufen und Diskriminierung in der Einstellungspraxis".

Das Dossier des Familienministeriums ist im Juni erschienen und verwertete vor allem Daten des Mikrozensus von 2015, eine repräsentative amtliche Befragung der Haushalte in Deutschland. Zwei weitere Panels wurden ergänzend herangezogen, darunter das Sozio-ökonomische Panel (SOEP).

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