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Militärbischof Overbeck.

© Thilo Rückeis

Militärbischof Overbeck im Interview: „Bei Völkermord haben wir eine Verantwortung“

Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck spricht im Interview über Generationengerechtigkeit und warum es gut ist, dass Deutschland mehr Aufgaben in der Welt übernimmt.

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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan neigt sich dem Ende zu. Sie als Militärbischof haben die Soldaten dort besucht. Was haben Sie gelernt?

Ich habe die positive Erfahrung gemacht, dass in Extremsituationen die Seelsorge eine Rolle spielt, die ihr viele nicht zutrauen. Die Militärpfarrer sind die einzige unabhängige Instanz in der Hierarchie der Bundeswehr. Soldaten können sich an sie wenden, ohne dass Chefs über den Inhalt des Gesprächs etwas erfahren.

Bei Ihrem Besuch forderten Sie, dass man sich mehr inhaltlich mit dem Islamismus auseinandersetzen müsse. Sollen sich die Militärpfarrer mit den Mullahs treffen?
Das tun wir längst. Auch mich werden demnächst hier in Deutschland Mullahs besuchen. Solche Treffen sind aber nur möglich, wenn das die Sicherheitsbedingungen zulassen und klar ist, dass wir die religiöse Sphäre dieser Menschen nicht verletzen.

Sie wollen nicht in Missionsverdacht geraten?
Genau. Es gibt islamistische Gruppen, die halten jeglichen Kontakt mit christlichen Priestern oder gar Bischöfen für äußerst schädlich für ihren eigenen Glauben. Das kann Menschen, die mit uns in Kontakt treten, leicht in Gefahr bringen.

Sind die Militärpfarrer überfordert in Extremsituationen wie in Afghanistan? Bräuchten sie nicht auch eine psychologische Fortbildung?
Zur Vorbereitung für unsere Pfarrer gehört eine gründliche psychologische Ausbildung. Wir sind aber Seelsorger und nicht Psychologen. Wir haben einen anderen Blick auf die Menschen und werden auch deshalb von so vielen Soldaten geschätzt. Es ist zu bedenken, dass 23 Prozent der Soldaten katholisch sind und noch mal 26 Prozent evangelisch. Trotzdem akzeptieren uns aber 70 bis 80 Prozent aller Soldaten.

Haben Sie noch genügend Priester?
Im Moment haben wir 91 Stellen. 67 davon werden von Priestern ausgefüllt, 24 durch Pastoralreferenten. Das sind Laien mit einer Diplomtheologen-Ausbildung. Infolge der Strukturreform der Bundeswehr werden wir künftig 75 Stellen haben. Die werden wir erst mal besetzen können. Wir werden in Zukunft aber mehr Laien für diesen Dienst brauchen.

Der Außenminister und die neue Verteidigungsministerin haben gefordert, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Von vielen ist das so verstanden worden, dass die Bundeswehr künftig leichter in militärische Einsätze gehen soll. Ist das in Ihrem Sinn?
Die Verantwortung der deutschen Politik und damit der Bundeswehr nimmt zu. Das ist gut so. Es gibt die globale Perspektive der Responsibility to Protect, der Schutzverantwortung für Menschen in extremen Situationen wie etwa vor zwanzig Jahren in Ruanda und im Kosovo, wo Unschuldige ermordet wurden. Oder jetzt in Afrika. Vergangenes Jahr wurde im Südsudan mit Gewalt verhindert, dass Hilfslieferungen die Menschen erreichen. Das ist auch Völkermord. Wir haben da eine Verantwortung. Mit einem klaren Mandat und internationalem Auftrag kann der Einsatz der Bundeswehr auch in solchen Fällen in dem vom Grundgesetz vorgegebenen Rahmen vertreten werden.

War das Bekenntnis der Politik überfällig?
Wir müssen uns dringend fragen, bei welchen Formen von Gewalt wir Schutzverantwortung übernehmen. Das ist völkerrechtlich ein Novum. Ich halte das aber für notwendig. Das hängt mit dem Schutz der Menschenwürde zusammen. Außerdem können solche Konflikte schnell auch für uns Auswirkungen haben. Wir müssen deshalb mehr für die Krisenprävention tun und auch auf eine Veränderung des Rechtssystems hinwirken.

Haben wir uns da in Afghanistan nicht übernommen?
Das kann man so sehen. Aber es wurden zumindest erste Schritte getan, etwa was die Förderung der Frauen angeht.

"Was auf der Krim geschehen ist, ist hoch problematisch"

Bild mit hoher Symbolkraft: Ein Priester bahnt sich mit einem Kreuz in der einen - und einem Schild in der anderen Hand seinen Weg durch Kiew. Andere Bilder zeigen Priester, die Kämpfer der Opposition und auch deren Tote segnen.
Bild mit hoher Symbolkraft: Ein Priester bahnt sich mit einem Kreuz in der einen - und einem Schild in der anderen Hand seinen Weg durch Kiew. Andere Bilder zeigen Priester, die Kämpfer der Opposition und auch deren Tote segnen.

© AFP

Die Kirche schweigt zu den Vorgängen in der Ukraine, auch der Papst hat sich nicht geäußert. Warum diese Zurückhaltung?
Die Kirche hat einen Weltauftrag, für den Frieden einzustehen. Aber sie muss sehr klug damit umgehen. Die römisch-katholische Kirche spielt in Russland und in der Ukraine keine große Rolle.

Aber es gibt klare Völkerrechtsverletzungen. Dazu kann doch eine Kirche nicht schweigen.
Was auf der Krim geschehen ist, ist hoch problematisch. Aber wir sollten alles vermeiden, was die Situation weiter aufheizen könnte. Deshalb ist die Kirche klug beraten …

… zu schweigen?
Schweigen heißt ja nicht, dass wir nichts tun. Wir tun es nur nicht öffentlich.

Die orthodoxe Kirche in Moskau ist nicht so zurückhaltend; sie unterstützt Wladimir Putin ziemlich offen in seinem nationalistischen Kurs.
Der russische Staat kommt offensichtlich ohne diesen Schulterschluss nicht aus, und auch die orthodoxe Kirche sucht diesen Schulterschluss. Wie segensreich ist doch der Emanzipationsprozess gewesen, der im Westen eine solche Nähe zwischen Staat und Kirche ausschließt. Auf dem Maidan in Kiew tauchten plötzlich zwischen Soldaten und Demonstranten Popen auf, genau in der Mitte. Vielleicht ist das die richtige Rolle, die die Kirche dort einnehmen kann. Wir als römisch- katholische Kirche sollten diese Entscheidung den Trägern der religiösen Identitäten selbst überlassen.
Sie sind auch der Sozialbischof der Deutschen Bischofskonferenz. Als Ruhrbischof in Essen stehen Sie ohnehin in einer Tradition der Kirche für die kleinen Leute. Wer sind heute die „kleinen Leute“?
Das sind die Menschen, die mit ihrer Arbeit kaum das Existenzminimum sichern können. Es gehören auch die Menschen dazu, denen keine dauerhafte Arbeitsstelle angeboten wird. Und die Bildungsverlierer.

Wächst dieser Kreis?
Jugendliche schaffen den Schulabschluss nicht. Es gibt auch immer mehr, die selbst eine einfache Ausbildung überfordert. Diese Menschen werden ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können.

Was bedeutet Solidarität?
Solidarität ist die Erkenntnis und Einsicht, dass in unserer Gesellschaft alle in einem Boot sitzen und dass deshalb ein sozial gerechter Ausgleich für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben unerlässlich ist. Das gilt nicht nur hierzulande so, sondern weltweit.

Müssen die Wohlhabenden mehr abgeben als bisher?
In einem Sozialstaat geht es immer um die Frage, wie ein sozial gerechter Ausgleich zwischen vermögenden und bedürftigen Menschen herzustellen ist. Nur wenn alle nach ihren Kräften dazu beitragen, wird es möglich sein, das hohe Niveau unseres sozialen Miteinanders aufrechtzuerhalten. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass jeder korrekt seine Steuern zahlt.

Sollte sich die große Koalition mehr um diese Vernachlässigten kümmern, statt massiv Mittel für Rentnergenerationen zu verwenden, denen es vergleichsweise gut geht?
Ich habe meine Zweifel, dass das auf Dauer der Generationengerechtigkeit dient. Mir wäre eine flexible Altersgrenze lieber statt eine starre Grenze von 63 Jahren. Wenn jemand nach einem harten Arbeitsleben wirklich nicht mehr kann – dann bitte, gerne. Aber es gibt andere, die länger arbeiten wollen und auch gut länger arbeiten können.

Die Kirche kämpft mit den Nachwirkungen der Verfehlungen des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst. Wie groß ist der Schaden?

Er ist sehr groß und reicht weit über das Bistum Limburg hinaus. Bescheidenheit und Transparenz sind zwei unaufgebbare Grundsätze, die wir als Kirche und gegenüber der Öffentlichkeit erfüllen müssen.

Sollten Bischöfe jetzt noch stärker Vorbild sein?
Institutionen beziehen heute ihre Stärke daraus, dass ihre Träger als Personen überzeugen. Man kann das an Papst Franziskus sehen. Er verleiht der ganzen Katholischen Kirche eine Kraft, die sie vor einem Jahr noch nicht hatte.

Sind Sie in Ihrem Lebensstil neu herausgefordert?
Ich habe immer schon normal gelebt. Aber es ist notwendig, seinen Lebensstil immer wieder zu hinterfragen. Für mich heißt Bescheidenheit auch Angemessenheit. So nutze ich gelegentlich auch das Flugzeug – nicht in der ersten Klasse –, aber ohne diese Möglichkeit könnte ich mein Arbeitspensum nicht erledigen.

Symbolische Gesten werden immer wichtiger. Wäre nicht eine symbolische Geste genau jetzt das Richtige?
Symbolische Gesten können tatsächlich eine große Kraft entfalten. Sie dürfen aber nicht aufgesetzt und inszeniert wirken. Ich könnte zum Beispiel nur noch zu Fuß gehen oder den Bus nehmen. Aber dann würden viele Gläubige fragen: Wieso kommen Sie nicht mehr zu uns in den Gottesdienst? Dann könnte ich nur sagen: Weil ich ohne mein Auto nicht so viele Termine wahrnehmen kann. Es geht immer darum, das rechte Maß zu finden.

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