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Militäreinsatz: Internationale Debatten über die Legitimität

Die Angriffe des Westens auf Gaddafis militärische Infrastruktur sind umstritten. Wie wird in anderen Ländern darüber diskutiert?

Auf der Grundlage eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates fliegen die USA, Großbritannien und Frankreich seit dem Wochenende Angriffe über Libyen. Das Ziel ist, den Feldzug von Gaddafis Truppen gegen Aufständische zu unterbinden. Viele Staaten – beteiligte oder nicht beteiligte – tun sich schwer mit ihrer Haltung zu dem, was sich an der afrikanischen Mittelmeerküste tut.

USA

Es ist Amerikas dritter Krieg im neuen Jahrtausend. Und zugleich der dritte in einem muslimischen Land. Ansonsten ist für die USA im Fall Libyen alles anders als beim Kriegsbeginn in Afghanistan 2001 und im Irak 2003. Schon nach vier Tagen fragen viele Politiker und Medien, wie lange es noch dauern solle, bis sich ihr Land zurückziehe. Es sei völlig richtig, dass Präsident Obama den Einsatzbefehl gab, da sind sich linke Blätter wie die „New York Times“ und rechte wie das „Wall Street Journal“ einig. Man durfte nicht tatenlos zusehen, wie Gaddafi die Opposition tötet. Aber wie jeder Krieg entfaltet auch dieser seine eigene Dynamik und bringt die Politik und das Militär in Zugzwänge, die sie vermeiden wollten. Hat die Führung das alles bedacht?

Die beiden wichtigsten Nachrichten für die USA aus Libyen passen zur verhaltenen Stimmung. Ein Kampfjet ist abgestürzt. Grund war technisches Versagen, nicht feindlicher Beschuss, betont das Pentagon. Die beiden Insassen, der Pilot und der Waffenoffizier, haben sich per Schleudersitz gerettet und sind in Sicherheit. Die potenziellen Folgen, wenn sie in Gefangenschaft geraten wären, sind jedem Amerikaner klar: Gaddafi hätte sie als lebende Schutzschilde und Propagandawaffen missbrauchen können. Die Bilder aus Somalia 1993, wie lokale Milizen tote US-Soldaten durch die Straßen schleiften, führten zum Abbruch des US-Einsatzes zur Versorgung der Zivilbevölkerung im dortigen Bürgerkrieg.

Vier Reporter der „New York Times“, die tagelang in Gefangenschaft bei Gaddafi-Einheiten waren, sind dank türkischer Vermittlung frei. Gaddafis Soldaten hatten sie misshandelt und die eine Frau unter ihnen regelmäßig und schwerwiegend sexuell belästigt. Sie mussten auch Scheinhinrichtungen erdulden. Die USA stehen nur mit halbem Herzen hinter dem Libyeneinsatz. Zu viele Widersprüche ergeben sich aus der Lage. Amerika spielt eine größere militärische Rolle, als es möchte. Es verfügt über Waffensysteme, mit denen sich Libyens Luftabwehr schneller und risikoärmer ausschalten lässt, als es Briten und Franzosen alleine könnten. Doch nun, da die Flugverbotszone hergestellt ist, will Obama die Führungsrolle abgeben, an die Nato oder an eine von Briten und Franzosen geleitete Koalition. Das verzögert sich jedoch wegen der Uneinigkeit der Verbündeten.

Schonungslos analysieren rechte wie linke Medien das Leiden Amerikas an seinen Partnern. Unter Bush wurde den USA vorgeworfen, sie agierten unilateral. Dafür habe es klare Entscheidungs- und Befehlsstrukturen gegeben. Obama halte es wie Bill Clinton in den 1990er Jahren auf dem Balkan. Er sammele eine breite internationale Koalition und warte auf die Autorisierung des Militäreinsatzes durch den UN-Sicherheitsrat. Die Folge seien freilich Mängel in der Leitungs- und Befehlsstruktur. Wenn die USA nicht führen, übernehme das niemand anders.

Obama sagt, der Sturz Gaddafis sei ein Ziel seiner Politik, nicht aber Ziel des Militäreinsatzes. Er darf gar nichts anderes sagen, das verstehen die Amerikaner. Das UN-Mandat deckt nur den Schutz der Zivilbevölkerung ab. Aber die feine Unterscheidung zwischen politischen und militärischen Zielen macht es nicht leichter, den Bürgern den Einsatz zu erklären.

ITALIEN

Vor sieben Monaten noch hat Silvio Berlusconi seinen Freund Muammar al Gaddafi mit geradezu königlichen Ehren empfangen. Die italienischen Spitzen von Politik und Industrie saßen dem Libyer zu Füßen, 500 bezahlte junge Hostessen lauschten Gaddafis Koranpredigt. Dieses Wochenende nun hat sich Italien den Feinden Gaddafis angeschlossen. Die „Koalition der Willigen“ darf sieben italienische Militärbasen für ihre Flugeinsätze nutzen, und nicht nur das: Italien schickt seine eigenen Tornados und Eurofighter los.

Doch zwei, drei Tage nach dieser radikalen Wende steht auch der neue Kurs schon wieder infrage. Regierungschef Silvio Berlusconi, der dem Vorpreschen seines Verteidigungs- und seines Außenministers nur widerwillig gefolgt ist, sagt jetzt, er sei „betrübt“, was Gaddafi angehe: „Was in Libyen geschieht, trifft mich persönlich.“ Und so gibt Berlusconi jetzt die Parole aus: „Unsere Kampfflugzeuge fliegen Patrouille, aber sie schießen nicht.“ Außerdem müssten die Einsätze strikt unter das Kommando der Nato gestellt werden. Außenminister Franco Frattini geht noch weiter: Wenn Frankreich weiterhin allein das Kommando führe, dann behalte sich Italien das Recht vor, die Militärbasen wieder zu sperren.

Italien ist Frontstaat in diesem Krieg und fühlt sich schon deshalb mehr getroffen als alle anderen. Nur 600 Kilometer Mittelmeer oder 20 Eurofighter-Minuten trennen die westsizilianische Luftwaffenbasis Trapani von der libyschen Hauptstadt Tripolis. Auf halber Strecke liegt die kleine Insel Lampedusa, die vor Flüchtlingen bereits jetzt aus allen Nähten platzt. Die Angst, zu den gut 15 000 Tunesiern, die dieses Jahr schon auf Lampedusa gelandet sind, könnten nun noch einige zehn- oder hunderttausende Flüchtlinge aus Libyen kommen, ist beherrschendes Thema in der italienischen Debatte.

Die zweite Angst Italiens besteht darin, Libyen könnte eine Art Somalia vor der eigenen Haustür werden – ein Land ohne Recht und Gesetz, in der Hand islamistischer Terroristen oder rivalisierender Stammesführer, aber auf jeden Fall ohne den verlässlichen Zugang zu den reichen Öl- und Gasquellen. Eni, Italiens halbstaatlicher Erdölkonzern (Marke Agip), ist bisher führend in der Ausbeutung der libyschen Reserven; er liefert bei Erdgas 13 Prozent, bei Erdöl 23 Prozent des italienischen Bedarfs übers Meer.

RUSSLAND

Als Regierungschef ist Wladimir Putin eigentlich für Russlands Außen- und Verteidigungspolitik nicht zuständig – beides ist laut Verfassung Sache des Präsidenten. Aber eine persönliche Meinung dürfe er haben, sagte Putin. Die Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrates erinnere ihn an Aufrufe zu Kreuzzügen im Mittelalter, weil sie faktisch eine Invasion in einen souveränen Staat erlaubt. Die Einmischung der USA in Konflikte in anderen Ländern werde zu einer stabilen Tendenz, weshalb Russland aus der Libyenkrise Konsequenzen ziehen müsse. Auch militärische.

Beobachter waren alarmiert: Nicht irgendwo, sondern in der Teilrepublik Udmurtien – Russlands Waffenschmiede – warb Putin für Rückkehr zu Hochrüstung und Kaltem Krieg. Vor allem aber griff er Präsident Dmitri Medwedew in aller Öffentlichkeit an. Und der keilte später zurück: Russland habe bei der Abstimmung der UN-Resolution 1973 bewusst auf sein Recht verzichtet, die Annahme per Veto zu blockieren, und sich lediglich der Stimme enthalten. Auch sei die Verwendung von Begriffen wie Kreuzzug „inakzeptabel und nicht hinnehmbar“, weil das die Zivilisationen gegeneinander aufbringe. Nie zuvor hatte Medwedew seinen Vorgänger und Mentor derartig vorgeführt. Die Begeisterung darüber hält sich jedoch in Grenzen. Experten und Medien teilen in der Libyen-Frage ausnahmsweise die Einschätzung Putins.

SPANIEN

„Bei der Militäraktion geht es nicht darum, das Regime von Muammar al Gaddafi zu stürzen. Das Ziel ist es, Gaddafi davon abzuhalten, die Waffen gegen sein Volk zu richten.“ Spaniens Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero warb am Dienstag im Parlament in Madrid mit dieser deutlichen Differenzierung um die Unterstützung für den Kampfeinsatz gegen das libysche Regime. Der Appell zeigte Wirkung: Mit 336 Stimmen bei drei Gegenstimmen und einer Enthaltung votierten die Abgeordneten dafür, dass spanische Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe an dem internationalen Militäreinsatz teilnehmen. Zapatero grenzte die Mission zeitlich vier Kampfflugzeuge sollen einen Monat lang die Überwachung der Flugverbotszone unterstützen, eine spanische Fregatte und ein U-Boot sollen drei Monate lang helfen, die Einhaltung des Waffenembargos zu kontrollieren. Und wenn sich der Einsatz länger hinzieht, will Zapatero erneut vor das Parlament treten, um eine weitere Zustimmung einzuholen.

POLEN

Einmal will es Donald Tusk dem Westen nicht recht machen. „In Libyen sind weder polnische Geschäfts- noch Sicherheitsinteressen in Gefahr“, wiederholt der polnische Ministerpräsident standhaft. Polen werde sich deshalb nicht an der Militärintervention beteiligen. Auch der Einsatz von Sondereinheiten oder des gegenwärtig im Mittelmeer stationierten Kreuzers „Xawery Czernicki“ sei „kategorisch“ ausgeschlossen, unterstreicht Verteidigungsminister Bogdan Klich. Warschau wolle sich allenfalls für später anlaufende humanitäre Hilfe bereithalten, versicherte Tusk immerhin. Umfragen zeigen, dass auch das Volk klar gegen ein neues polnisches Militärengagement ist. Diese Haltung steht in krassem Gegensatz zu den polnischen Hurra-Rufen für eine eigene Beteiligung bei der Irak-Invasion vor acht Jahren – obwohl der Militärschlag damals nicht wie im Falle von Libyen durch einen UN-Beschluss sanktioniert worden war. Neben Polen hat sich in Ostmitteleuropa einzig Bulgarien derart kategorisch von der Libyen-Intervention distanziert. Polen habe oft genug bewiesen, dass es ein solidarischer Nato-Bündnispartner sei, begründen Spitzenpolitiker der regierenden liberalen Bürgerplattform. Wegen der zahlreichen Truppen in Afghanistan könne sich Polen zudem keine Beteiligung an einer internationalen Militäraktion leisten. Unerwähnt bleibt dabei die tiefe Enttäuschung Polens über ausgebliebene Wiederaufbauverträge im Irak.

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