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Politik: Millenniumsgipfel: Erhabene Idee, trostlose Praxis (Kommentar)

Seit den Science-Fiction-Filmklassikern scheint kein Weg mehr an dieser Zukunft vorbeizuführen: Über das Wohl der Menschen wacht eine Weltregierung. Und ein Weltparlament.

Seit den Science-Fiction-Filmklassikern scheint kein Weg mehr an dieser Zukunft vorbeizuführen: Über das Wohl der Menschen wacht eine Weltregierung. Und ein Weltparlament. Ob "Raumschiff Orion" oder "Enterprise": Nationalstaaten gibt es nicht mehr. Weltregierung und Weltparlament können die großen Bedrohungen zwar auch nicht abwenden - dafür gibt es Superman in Gestalt von Commander McLane und Captain Kirk. Aber klar ist: Das Bild der Weltregierung ist positiv besetzt.

Ihre real existierende Entsprechung, die Vereinten Nationen, dürfte darüber schon froh sein: ein positives Bild. Sie gelten als ziemlich uneffektiv, als Riesenbehörde, in Teilen korrupt, als Papiertiger - bestenfalls! Schlimmer noch: Die meisten Menschen interessieren sich nicht für die UN. Zu fern vom realen Leben, zu kompliziert, kein Sex-appeal: wie die Europäische Union - hoch zwei. Vielleicht sind die Menschen auch einfach frustriert: So erhaben ist die Idee, und so entwürdigend die Praxis.

Die Vereinten Nationen sollen über den Frieden wachen. Bei ihnen liegt das Gewaltmonopol. Nur sie dürfen Waffen einsetzen - um Kriege zu verhindern oder sie wenigstens zu beenden. Die UN sollen auch Armut und Hunger, Überbevölkerung und Seuchen bekämpfen, sollen für Bildung, allgemeine Entwicklung und Umweltschutz sorgen, die Abrüstung vorantreiben, die Menschenrechte schützen, Flüchtlinge versorgen und Kriegsverbrecher vor Gericht stellen. Soweit das Wünschenswerte. Und das Machbare?

Nach der Gründung 1945 verhinderten der Kalte Krieg und die Blockade im Sicherheitsrat, dass die Vereinten Nationen ihr Gewaltmonopol durchsetzen. Nach der Wende weckte der Golfkrieg zur Befreiung Kuwaits die kurzlebige Hoffnung, nun beginne das Zeitalter der UN. Diesen Konflikt beendeten freilich nicht sie, sondern eine von den USA geführte Koalition unter UN-Mandat. Im zerfallenden Jugoslawien beendeten die Bilder der als lebende Schutzschilde missbrauchten UN-Soldaten die Illusion.

Bildung, Bevölkerungs- und Entwicklungspolitik, Welternährung - dafür und vieles mehr haben die UN einige Dutzend Programme, Organisationen und Agenturen vom Weltkinderhilfswerk und der Weltgesundheitsorganisation über Weltbank und Internationalen Gerichtshof bis zur Internationalen Seeschiffahrtsorganisation und dem Weltpostverein. Die UN haben mehr als 50 000 Angestellte und ein Zwei-Jahres-Budget von rund 2,5 Milliarden Dollar.

Das schlechte Image ist zwangsläufige Folge der Allzuständigkeit. Sie führt zur permanenten Überforderung. Zudem haben die UN auf keinem dieser Gebiete ein Monopol. Andere Akteure kümmern sich ebenfalls um die hehren Ziele - spezialisiert und effektiver. Flüchtlingshilfe? Humanitäre Organisationen leisten mehr für weniger Geld. Umweltschutz? Greenpeace hat mehr erreicht. Selbst bei der Erzwingung von Frieden ist das nur noch eine rhetorische Frage: Die Nato kann es besser als eine bunt zusammengewürfelte UN-Truppe.

Quo vadis UN - im dritten Jahrtausend? Um das zu besprechen, versammeln sich mehr als 150 Staats- und Regierungschefs in New York zum Millenniumsgipfel - mehr als je zuvor. Vor allem täte eine Beschränkung auf das Machbare Not. Mehr Effektivität, mehr Wirtschaftlichkeit, klarere Zuständigkeiten, weniger Mitsprache der Nationalstaaten. Und natürlich eine Reform der Entscheidungsstrukturen des Sicherheitsrates, der die Machtverhältnisse von 1945 abbildet, nicht die des Jahres 2000.

Ja, sie werden darüber reden, verändern wird sich wenig. Weil den Mitgliedern im Zweifel ihre Partikularinteressen wichtiger sind als die Handlungsfähigkeit der UN. Vielleicht sollten die Staats- und Regierungschefs mit ihren Delegationen in ein Großkino gehen. Im Film ist bereits zu sehen, was die Alternative ist, wenn die Vereinten Nationen nicht endlich die Kraft zu einer Reform an Haupt und Gliedern finden.

In "Independence Day" wird die Erde von einer tödlichen Invasion aus dem Weltraum bedroht. Ohne Superman oder ein Team von Superwomen und Supermen ist das Happy End nicht möglich, das hat sich seit den frühen Science-Fiction-Filmen nicht geändert. Aber es gibt eine handlungsfähige Alternative zur überforderten Weltregierung: Die USA übernehmen die Führung der Menschheit und wehren die Gefahr ab.

In Ansätzen ist das Realität: Die USA haben de facto das Gewaltmonopol, sie entscheiden, in welchen Fällen sie ihre militärische Stärke den UN leihen. Ob Weltbank-Kredite, Globalisierung, Internet oder Abrüstung: Washington hat mehr zu sagen als die UN. Womöglich ist das nicht die schlechteste Lösung, wenn die UN sich ihrer Verantwortung weiter entziehen. Dann danken sie eben ab - kampflos, reformlos.

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