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Politik: Millenniumsgipfel: Gerhard Schröder beim New Yorker Treffen mit den Großen dieser Welt: Der Bundeskanzler will auch hier Reformen

Aufgeräumt ist er, der Kanzler. Sichtlich aufgeräumt.

Aufgeräumt ist er, der Kanzler. Sichtlich aufgeräumt. Er hat etwas mitgebracht bei seinem Ausflug in die große weite Welt, zum Millenniumsgipfel der Superlative, er wird etwas mitnehmen - und viele drängen sich, ihn zu sehen. Gerhard Schröder, der Bundeskanzler aus Berlin, kann sich also wichtig fühlen. Und zu Hause bei diesem Klassentreffen in der UN-Versammlungshalle.

Sie bleiben unter sich. Da bekommen die Staats- und Regierungschef dann auch nicht mit, wie viele Demonstranten zeitweise rund um das Gebäude der Vereinten Nationen aufziehen. Mitunter konkurrieren in diesen Tagen der Erwartung drei Protestzüge an einer einzigen Kreuzung miteinander: Da bringt der iranische Widerstandsrat 2000 Menschen auf die Beine, um den Abtritt von Präsident Chatami zu fordern, und nebenan fordern Demonstranten in gelb-blauen Shirts ein Ende der Inhaftierung von Falun-Gong-Anhängern in China.

Für zwei Tage ist der deutsche Regierungschef nach New York gekommen. Dort dürfte er - wie alle anderen - am frühen Abend deutscher Zeit nur fünf Minuten im Plenum sprechen. Artiges Bedanken für die Unterstützung bei der sich am 3. Oktober zum zehnten Mal jährenden deutschen Vereinigung inklusive. An die Vorgaben werde er sich selbstverständlich halten, hieß die Devise. Auch wenn das Protokoll ihm erst als 27. Redner das Wort erteilte. Staatsoberhäupter gehen vor, das ist die Regel.

Selbst geschicktes Tauschen macht aus einem Kanzler keinen Bundespräsidenten. Kein Ausbrechen aus den Standards, die für alle gelten. Denn damit hatte sich Vorgänger Helmut Kohl bei den anderen UN-Mitgliedern unbeliebt gemacht, als er zum Jubiläumsgipfel aus Anlass des 50-jährigen Bestehens 1995 nicht erschien. Er wollte nicht wegen einer Fünf-Minuten-Rede nach New York fliegen.

Auch Gerhard Schröder hätte wohl seine Schwierigkeiten gehabt, das ursprüngliche Redemanuskript in diese Minuten zu pressen. Da wäre selbst ein Stakkato-Vortrag kaum die Rettung gewesen - obwohl er seine Rede auf Deutsch halten wollte. So konnten sich Äquatorialguinea, Nicaragua, die Malediven und Mikronesien vorher an die versammelten Spitzenpolitiker wenden.

Der Kanzler hat Premiere, und er fühlt sich zu einem Bekenntnis aufgerufen: zum "unverminderten Engagement" der Bundesrepublik für die Weltorganisation. In dieser Passage klingt er wie vor Jahrzehnten in dieser Rolle Willy Brandt. Ganz so zurückhaltend, wie der Beginn nahe legt, will er dann aber doch nicht bleiben.

Nicht ungebührlich drängeln möchte der Bundeskanzler, nur ein wenig schneller stellt er sich die Reform der Vereinten Nationen schon vor - einen Sitz im Weltsicherheitsrat inklusive. Krisenvorsorge rückt mehr und mehr in den Vordergrund, da ist der deutsche Regierungschef nach seinen Erfahrungen der ersten Jahre im Amt überzeugt.

Als Konsequenz aus Erfolgen und Misserfolgen der jüngsten Friedensmissionen gehört nach seiner Überzeugung das Gremium reformiert. Und es könne schließlich die Erfolgsaussichten nicht verbessern, "wenn politisch und wirtschaftlich gewichtige Staaten nicht in die Entscheidungsfindung im Sicherheitsrat eingebunden sind". Hier spricht der Mann der Wirtschaft.

Die Vereinten Nationen müssen sich, so findet Schröder, in ihrer Arbeit auf die "wirklichen Kernthemen unserer Zeit" beschränken und sich nicht überfordern. Zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts sei eine stärkere Einbeziehung der Wirtschaft in die Uno-Arbeit erforderlich, und er sei sicher, dass die deutsche Wirtschaft ihren Beitrag leisten werde. Dass Deutschland umfassend helfen will, ist nach dem Vortrag des Regierungschefs keine Frage. Damit ließ er in der Assembly Hall am East River kaum eine andere Deutung zu als diese: Verantwortung sollte mit einem Sitz im Sicherheitsrat verbunden sein.

Ein kluger Mahner baut vor, selbst wenn es den Anschein hat, als hielten es mehr und mehr Staaten für nötig, den Sicherheitsrat zu erweitern. So sagt Schröder es nicht ausdrücklich, sondern erinnert nur am Rande daran, was in der großen Runde alle wissen: Die Uno hat derzeit Außenstände in Höhe von 2,9 Milliarden US-Dollar. Und allein die USA schulden der Weltorganisation 1,8 Milliarden Dollar. So kann es kommen, dass eine wachsende Anzahl von Staats- und Regierungschefs den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen will. Und hier auch an die Deutschen denken.

Dass die Bundesrepublik mit 1,4 Milliarden Mark pro Jahr drittgrößter Beitragszahler der UN ist, wissen auch schon alle. Deshalb spart sich der Kanzler diese Hinweis ebenfalls - sein sachter Hinweis soll genügen, dass die pünktliche und komplette Zahlung der Mitgliedsbeiträge ein "Gebot der Solidarität" mit den übrigen Mitgliedern sei. Das ist schön doppelsinnig.

Aber Schröder bringt auch ein Angebot mit: einen "Aktionsplan". Mit dem will das neue Deutschland helfen, das von Generalsekretär Kofi Annan gesetzte Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2015 die Zahl der Menschen zu halbieren, die in extremer Armut leben. Das sind 1,2 Milliarden. Der Plan wird jetzt bis ins Detail entwickelt. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ist bereits an der Seite Schröders mit auf Gipfel-Tour. Bis Geld fließen muss, bleibt also noch ein wenig Zeit.

Denn der Kanzler, den Annans schnörkelloser Millenniumsbericht beeindruckt hat, will nicht etwa die Milliarden Mark aus den Mobilfunklizenzen unters Welt-Volk streuen. Erstmal soll der "sparsame Hans", Finanzminister Eichel, daheim den Etat sanieren. Danach, so lautet offenbar seine Überlegung, könnten sich die Deutschen vielversprechende Partnerländer suchen und dort wieder den Entwicklungsgedanken mit neuem Leben füllen. Und auch global tätige Unternehmen für das ehrgeizige Ziel mit ins Boot nehmen. Ob das vor dem Jahr 2006 gelingen kann? Bis dahin will Minister Eichel den Etat saniert haben, und das wäre eine gute Zeitschiene für ein Koppelgeschäft - ein Aktionsplan für den Platz im Sicherheitsrat.

Doch nicht nur in seiner Fünf-Minuten-Rede wollte der Kanzler auf Stipp-Visite etwas anstoßen. Nicht weniger wichtig sind ihm die Mini-Gipfel am Rande: Wenn sich die politischen Führer der Welt alle an einem Ort treffen, ist rund um die Uhr Staatsbesuch. 30 Anfragen hatte Schröder auf dem Tisch. Der russische Präsident, der türkische, der slowenische, Israels Premier, alle sind mit ihm verabredet. Gerhard Schröder, Staatsmann - als solcher soll er jetzt auch ausgezeichnet werden. Ja, ein Fortschritt im festgefahrenen Nahost-Friedensprozess, das wäre was. Für den Kanzler, aber nicht zuletzt für den Präsidenten Bill Clinton, der sich in seinen letzten Wochen als Weltstaatsmann noch so viel vorgenommen hat.

An die blaue Absperrung gelehnt, beobachtet derweil Detective Wilson Aramboles das Treiben. Wer um ihn herum demonstriert und für was die dritte Gruppe war, die gerade abzieht, interessiert den hochaufgeschossenen 34-Jährigen nicht. Er macht seinen Job, die Mütze tief gegen die Sonne ins Gesicht gezogen.

Dafür, dass es ruhig bleibt, sorgen Aramboles und weitere 6000 Polizisten im Sondereinsatz. Meist zu Dritt wachen sie über die Gegend rund um die First Avenue, und zwar noch strikter als bei anderen Gipfeln. Wer sich einfallen lässt, an diesen Tagen in das Hotel gehen zu wollen, das den UN gegenüber liegt, muss eine Taschenkontrolle und einen Metalldetektor über sich ergehen lassen. Ohne Ausweis ist der Zugang zu den Seitenstraßen unmöglich.

Dem Geschäft tut das keinen Abbruch. Der Imbiss an der 44. Straße hat in diesen Tagen 25 Prozent mehr Gäste, schätzt der Inhaber. Ihn ärgert aber, wie viele der Ausländer doch nach Dingen fragen, die er nicht bieten kann, zum Beispiel Rotwein oder Service an den Tischen. Das Geschäft könnte aber noch besser gehen - vielleicht beim nächsten Mal in diesem Millennium. Wenn dann einer der Großen kommt, der an Blaubeer-Muffins Gefallen findet. Und sie mitnimmt zum Klassentreffen.

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