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Milosevic: Fetzen der Macht

Selbst auf Gift wird man seinen Leichnam untersuchen. Zuletzt war sein Imperium auf die Größe einer Zelle geschrumpft: Slobodan Milosevic. Wie ein Diktator aufstieg und stürzte. Ein Bericht von Enver Robelli

Sie werden seine Leiche auch auf Gift untersuchen. Wenn ein Mann stirbt, dem man vorwirft, die Verantwortung zu tragen für Tod und Leid von Hunderttausenden, dann ist vielleicht nicht auszuschließen, dass eine späte Rache ihren Weg hinter Gefängnismauern gefunden hat.

Als der Wärter am Samstagmorgen die Zelle im Scheveninger Tribunalsgebäude aufschließt - die Aufseher kontrollieren die politischen Häftlinge alle halbe Stunde -, da findet er den ehemaligen Staatspräsidenten von Jugoslawien und Serbien tot auf dem Bett. Einen hohen Blutdruck hatte Milosevic. Und Herzprobleme. Der Prozess hatte schon mehrfach unterbrochen werden müssen deswegen - jener Prozess, für den fast 400 Zeugen schon vernommen, mehr als eine Million Seiten gelesen und rund 200 Videos gesichtet worden sind. Über Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Über Massaker und Folter, Massenvergewaltigungen und Vertreibungen &

Im April 2001 war Slobodan Milosevic in seiner Villa in Belgrad verhaftet und drei Monate später an das Haager Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert worden. Die Zeit seiner Herrschaft war begleitet von Bildern, die nach Auschwitz niemand in Europa mehr für möglich gehalten hatte: Frauen, Männer und Kinder in Massengräbern, geschändete Leichen, zerstörte Städte. Im Herbst 1991 legt die serbische Armee die barocke Stadt Vukovar in Kroatien in Schutt und Asche, Milosevics Schergen stürmen das örtliche Krankenhaus, zwingen über 200 Kranke und Verletzte hinaus aufs Land und exekutieren sie.

Dubrovnik, eine von der Unesco geschützte Stadt, wird zwischen Oktober 1991 und Mai 1992 täglich von serbischen Soldaten mit Bomben und Granaten beschossen. Paläste und Befestigungsmauern, Häuser und Straßenzüge gehen in Flammen auf. Srebrenica, die Stadt der Silberminen im Osten Bosniens, ist heute eine gespenstische Trümmerlandschaft mit einigen Witwen, die zurückgekehrt sind und auf den Gräbern ihrer Männer und Kinder trauern. Im Juli 1995 töten serbische Truppen unter dem Kommando von General Ratko Mladic 8000 Muslime.

Und Milosevic wusch seine Hände in Unschuld vor dem Haager Tribunal. Immer wieder sagte er, Serbien sei in den blutigen Konflikt im Nachbarland nicht verwickelt gewesen. Diese Behauptung wurde im vergangenen Jahr allerdings erschüttert, als die Belgrader Menschenrechtlerin Natasa Kandic der Öffentlichkeit ein Amateurvideo präsentierte. Da ist zu sehen, wie Angehörige der Einheit "Skorpioni", die dem serbischen Innenministerium unterstand, muslimische Männer aus Srebrenica hinrichten - ein wichtiger Beweis, dass nicht nur die Soldaten von Ratko Mladic schuldig sind, sondern auch Milosevics Henker.

Das letzte blutige Kapitel in der politischen Karriere von Slobodan Milosevic ist Kosovo. Im Frühjahr 1999, als die Nato das Massenmorden der serbischen Truppen in Kosovo mit Luftangriffen zu stoppen versucht, lässt der Diktator die Hölle organisieren. Innerhalb von wenigen Wochen werden 800 000 Kosovo-Albaner nach Albanien, Mazedonien und Montenegro vertrieben. Über 10 000 weitere Menschen fallen dem Terror zum Opfer.

Slobodan - der Name bedeutet "der Freie" - wuchs nicht in einer glücklichen Familie auf. Der Vater, ein orthodoxer Priester, wird als depressiver Mensch beschrieben, die Mutter als beinharte kommunistische Lehrerin. Seine Lehrer in Pozarevac beschreiben den jungen Slobodan heute als still und fleißig; seine Mitschüler erlebten ihn als Sonderling in weißem Hemd und Krawatte, der sich vor Sport und Exkursionen drückte. Sie glaubten, er werde wohl Karriere als Bahnhofsvorstand oder Beamter machen. Einer Mitschülerin aber gefiel der spröde Ehrgeizling: Mira Markovic, seiner künftigen Frau und Ko-Diktatorin.

Milosevic beginnt, die Karriereleiter zu erklimmen. Zuerst als eifriger Leiter der Ideologieabteilung der KP an der Universität Belgrad, später als Chef der Beobanka, eines Bankhauses im sozialistischen Jugoslawien. Als Bankdirektor arbeitet er einige Jahre auch in den USA, lernt Englisch, es heißt von ihm, er lege Wert auf Manieren. Das Ehepaar Milosevic - Mira bringt es bis zur Marxismusdozentin - verkörpert den Aufstieg zweier armer Provinzler. Nach kommunistischer Lesart ist das ein soziales Märchen.

Nach dem Tod von Josip Broz Tito im Mai 1980 stürzt der Vielvölkerstaat in eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise. Unzählige Demagogen wittern ihre Chance, in Titos Fußstapfen zu treten. Milosevic ist ein unbekannter Apparatschik. Doch dann, Mitte der 80er Jahre, legt die Serbische Akademie der Wissenschaften in einem berüchtigten Memorandum die ideologische Basis für die Schaffung eines großserbischen Staates. In dem 74 Seiten langen Dokument beklagen die Intellektuellen die "wirtschaftliche Diskriminierung Serbiens", "die Unterdrückung der Serben in Kroatien" und den "Genozid an den Serben in Kosovo". Und Milosevic macht das Memorandum zum Programm seiner Politik. 1984 wird er Parteisekretär in der Hauptstadt, eine Schlüsselposition. Diese Funktion dient ihm als Sprungbrett in das Amt des Ersten Sekretärs der serbischen KP, den ein alter Gönner von ihm innehat - Milosevic vertreibt ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Konturen eines skrupellosen Machtmenschen treten erstmals zu Tage.

Zu dieser Zeit, Ende der 80er Jahre, ist das Land reif für den Auftritt einer Figur wie Milosevic. Die Inflation liegt bei 1000 Prozent und frisst Löhne und Erspartes über Nacht, gigantische Industriekombinate brechen zusammen, Hunderttausende stehen auf der Straße. Und der Retter verkündet Unglaubliches im sonoren Tonfall einer Bilanzpressekonferenz: "Kriege stehen uns bevor." Als Mittel zur Allmacht nutzt Milosevic die Verführungskräfte des großserbischen Nationalismus. Dem Heer der Perspektivlosen ruft er zu, dass sie das Volk seien, ausgebeutet von den reicheren Republiken Slowenien und Kroatien, schikaniert vom albanischen Erzfeind auf der "heiligen serbischen Erde" von Kosovo.

"Slobo, Slobo, Slobo!" Aus Hunderttausenden von Kehlen vernimmt Milosevic 1989 bei einer Veranstaltung in Kosovo, dass ein Großteil seines Volkes bereit ist, ihm zu folgen. 4,5 Millionen Serben wählen ihn im selben Jahr zum Präsidenten. Den konservativen, kommunistischen Funktionären und den Militärs verspricht er ein serbisch dominiertes und erneuertes Jugoslawien. "Alle Serben in einem Staat" lautet schließlich die Parole, mit der Milosevic die Feldzüge gegen Kroatien und Bosnien entfesselt. Mit Blumen schmückt das Volk die Panzer, die anrollen, die serbischen Ambitionen mit Gewalt durchzusetzen. Als am 9. März 1991 - vor genau 15 Jahren - in Belgrad doch noch Protest gegen den Wahnsinn laut wird, lässt Milosevic die Panzer auch gegen das eigene Volk los. Die ohnehin schwache Zivilgesellschaft Serbiens schaltet er für Jahre aus.

Seine Herrschaft gründet auf Angst. Sie steht für Isolation, institutionelles Dauerchaos und Wirtschaftskrise. Den Zenit seiner Macht erreicht Slobodan Milosevic, der sich mit Günstlingen und Gaunern umgibt, im Jahr 1995. Umrahmt von Weltpolitikern, unterzeichnet er als serbischer Präsident in Paris den Friedensvertrag von Dayton, der die Zerstückelung Bosnien-Herzegowinas festlegt. Der Diktator kann dank dem Segen des Westens die Metamorphose zum Friedensengel vollziehen. Das tut er allerdings nur zum Schein, wie sich zeigt. Bald eröffnet er eine neue Front. Es ist eine alte: Kosovo. Milosevic vermag sein Volk ein letztes Mal für den Krieg zu mobilisieren. Aber als ihm die Nato im März 1999 den Luftkrieg erklärt, beginnt seine Macht zu bröckeln. Nicht wegen des Bombardements, denn das spricht noch einmal den serbischen Opfermythos an: ein Volk, verraten von der ganzen Welt. Doch nach 78 Tagen muss Milosevic kapitulieren. Kosovo hat er verloren.

Slobodan und seine Frau Mira bunkern sich ein. Sie vermeinen, ihre Macht erneut mit Wahlfälschung sichern zu können. Doch das serbische Volk hat inzwischen gemerkt, dass es selber geknechtet ist, und setzt am 5. Oktober 2000 zum Sturm gegen den Polizeistaat an. Heute ist Serbien eine halbe Demokratie. Stärkste Partei ist die Radikale Partei, ein Sammelbecken ewiggestriger Nationalisten, die immer noch von einem großserbischen Staat mit Grenzen bis nach Kroatien träumen. Milosevics Sozialistische Partei ist in der Opposition, unterstützt aber das Kabinett des nationalistischen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica - auch aus dem Gefängnis in Den Haag hat Milosevic noch Einfluss auf die serbische Politik genommen. Sein Tod, obwohl nicht ganz unerwartet, wird die Nationalisten in der Überzeugung bestärken, dass das Kriegsverbrechertribunal eine antiserbische Institution sei. Und schon am Mittag beginnen die ersten seiner Anhänger Poster zu küssen mit seinem Antlitz und Rosen abzulegen mit Kärtchen, auf denen "Slobo" steht.

Carla Del Ponte, die resolute Chefanklägerin, hat mit seinem Tod die wichtigste Schlacht ihrer Karriere verloren. Mit großem Erfolg hatte Milosevic die Verhandlung in Den Haag verzögert, hatte Zeit verschwendet mit langatmigen Reden und theatralischen Auftritten. Das Spiel wurde von den Richtern spät, zu spät durchschaut. Nun ist den Opfern die Genugtuung, ihn verurteilt zu sehen, für immer verwehrt. ()

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