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Minderheitenrecht: Deutsch werden – eine Jahrhundertaufgabe

Deutschlands Türken brauchen nur ein bisschen Geduld: Hundert Jahre Aufenthalt genügen nach allgemeiner Meinung der Fachjuristen, der Drei-Generationen-Regel, um eine Volksgruppe als so solide sesshaft zu identifizieren, dass ihnen der Status einer anerkannten Minderheit zugestanden werden kann – mit allen Ansprüchen auf Schutz und Achtung von Sprache und Brauchtum.

Im Fall der Türken wäre es 2061 so weit – das deutsch-türkische Anwerbeabkommen wurde nämlich 1961 unterzeichnet. Um die Deutschtürken ging es allerdings nur zwischen den Zeilen des Vortrags des Hamburger Völkerrechtlers und Minderheitenrechtsexperten Otto Luchterhandt, der am Donnerstag die Fachtagung zur Aussiedler- und Minderheitenpolitik beschloss, zu der das Bundesinnenministerium und die AdenauerStiftung geladen hatten. Um jene hundert Jahre dreier Generationen kümmert sich Deutschland ohnehin wenig; Jahrhunderte müssen es sein. So lange jedenfalls sind Friesen, Sorben, Dänen, Sinti und Roma schon auf deutschem Boden ansässig. Sie sind gemäß einem Vorbehalt, den Deutschland 1997 dem europäischen Rahmenabkommen über nationale Minderheiten anfügte, die einzigen hier anerkannten. „Außerordentlich eng und restriktiv“ findet Luchterhandt diesen deutschen Minderheitenbegriff. Wenig folgerichtig sei er außerdem und nicht einmal im Einklang mit dem Völkerrecht.

Dabei hatte die Kanzlerin wenig zuvor Kulturen und Sprachen der Minderheiten in Deutschland und die deutschen Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa als Bereicherung für ihre Länder gelobt. Praxis und Festreden scheinen aber bestürzend weit voneinander entfernt zu sein: Russlanddeutsche klagten auf der Tagung mehrfach über die Grausamkeiten, die die vor einem Jahr verschärfte Nachzugsregelung für Familienangehörige selbst für die Spätaussiedler bedeutet, die doch als Opfer von Repression und Vertreibung nach 1945 unter dem besonderen Schutz der Bundesrepublik stehen. Der Rechtsanwalt Thomas Puhe berichtete von deutschstämmigen Männern, die nach jahrzehntelanger Ehe die 70-jährige kasachische Ehefrau nicht mitnehmen dürfen, weil sie nicht Deutsch spricht. Puhe: „Was ist dann das Kriegsfolgenschicksal noch wert?“ 

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