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Allein regieren - geduldet von SPD und/oder Grünen?

© dpa

Minderheitsregierung: Labiles Wesen

Eine Minderheitsregierung der Union als Ausweg aus den Widrigkeiten der Koalitionsbildung? Die Wirklichkeitsnähe dieser Variante ist gering.

Es geht ein Gespenst um in Berlin: die Idee der Minderheitsregierung. Leitartikler haben sie für machbar erklärt, aus der Politikwissenschaft gibt es positive Stimmen, einige Politiker von Grünen und SPD ventilieren den Gedanken. Meist geht es um eine Minderheitsregierung der Union mit Angela Merkel an der Spitze. Wolfgang Kubicki von der FDP immerhin redet von der rot-grünen Variante.

Formell wäre beides möglich. Im ersten Wahlgang braucht der vom Bundespräsidenten vorgeschlagene Kandidat eine Mehrheit aller Mitglieder des Bundestags; klappt das nicht und kommt es auch in einem zweiten Anlauf nicht zur Wahl mit absoluter Mehrheit, genügt danach die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Für ihre Gesetze müsste sich eine schwarze Minderheitsregierung die Mehrheiten suchen. Das muss ausverhandelt werden, aber das geschieht auch, wenn im Bundesrat eine oppositionelle Mehrheit herrscht. Und das ist momentan der Fall.

Minderheitsregierungen gab es in Deutschland in den Ländern immer wieder, meist nur für wenige Monate. Im Bund gab es sie dreimal für wenige Wochen, kurz vor Regierungswechseln (1966, 1982) oder Bundestagswahlen (1972). Weitaus länger funktionierte das „Magdeburger Modell“ – in Sachsen-Anhalt stützte die PDS zwischen 1994 und 2002 zwei Minderheitskabinette unter Reinhard Höppner (SPD). Zuletzt gab es von 2010 bis 2012 eine rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft lavierte sich mit wechselnden Mehrheiten durch, bis ihr die Lage günstig schien, durch Neuwahlen zu einer rot-grünen Mehrheit zu kommen.

In NRW stand Rot-Grün zwischen Schwarz-Gelb und Linkspartei, die zusammen nicht handlungsfähig sind. Im Bund wäre es bei einer rot-grünen Minderheitsregierung ähnlich. Bei einem Kabinett Merkel aber ganz anders: Hier stünde eine linke Mehrheit im Bundestag, die in vielem einer Meinung ist, der Regierung gegenüber. Wie aber würden sich SPD und Grüne verhalten, wenn die Linke ein Mindestlohngesetz vorlegt, das für sie zustimmungsfähig ist? Der Bundestag beschließt es, der Bundesrat stimmt zu – doch das schwarze Kabinett verweigert die Gegenzeichnung. Kann eine Regierung jedoch diesen Mehrheitswillen ignorieren?

Wie weit aber wäre es andererseits noch mit dem Recht der Kanzlerin her, die Richtlinien der Politik zu bestimmen? Und was macht der Bundestag, wenn Merkel ein Gesetz mit strammem Unions-Inhalt mit der Vertrauensfrage verbindet? Dann bliebe nur die Ablehnung – mit der Folge einer Auflösung des Bundestags. Oder die Mehrheit wählt einen neuen Kanzler. In solchen Fragen und der Stimmenverteilung im Bundestag zwischen zwei Lagern liegt das Problem einer schwarzen Minderheitsregierung: Sie wäre ein labiles Wesen mit latentem Verfallsdatum. Kubickis Vermutung liegt der Realität wohl näher.

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