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Jugendliche Flüchtlinge, wie hier in einem Heim in Frankfurt am Main, müssen vier Jahre erfolgreichen Schulbesuch vorweisen können, um bleiben zu dürfen.

©  Andreas Arnold/dpa

Minderjährige Flüchtlinge in Deutschland: Allein in der Fremde

Derzeit kommen zehntausende jugendliche Flüchtlinge unbegleitet nach Deutschland. Was erwartet sie hier? Fragen und Antworten.

Rund 60.000 Jugendliche, die ganz auf sich gestellt geflohen sind, leben derzeit in Deutschland. Wöchentlich kommen etwa 2000 hinzu. Allein sind sie, weil sie in Kriegen oder noch auf der Flucht ihre Familien verloren haben oder weil die Eltern selbst entscheiden, sie allein wegzuschicken, weil das Geld für die Flucht der ganzen Familie nicht reicht. Viele fliehen vor der Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, vor der zwangsweisen Prostitution oder Verheiratung, vor Genitalverstümmelung. Aber auch auf der Suche nach Familienangehörigen.

Was passiert mit den Jugendlichen, wenn sie hier ankommen?

Zunächst kommen sie „in Obhutnahme“ des zuständigen Jugendamts, wie es im Behördendeutsch heißt. In den ersten sieben Tagen wird dann in einem sogenannten Clearingverfahren festgestellt, ob sie wirklich noch nicht volljährig sind und welche Hilfe sie brauchen. Dabei geht es um ihre Gesundheit ebenso wie darum, welche Art der Betreuung sie benötigen. Erst danach werden die jungen Leute verteilt, nicht auf Erstaufnahme-Einrichtungen, sondern in geeignete Jugendheime, Wohngruppen oder in Pflegefamilien.

Reicht die Infrastruktur für die Versorgung der Jugendlichen?

Das Netz von Versorgung in öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen oder Familien ist durch den starken Zustrom seit Langem überstrapaziert: „Unbegleitete Minderjährige brauchen Perspektiven und intensive Begleitung“, sagt zum Beispiel Maria Loheide, die im Vorstand der Diakonie für Sozialpolitik zuständig ist. „Dafür reichen die wenigen spezialisierten Einrichtungen nicht mehr aus.“

Da inzwischen alle diakonischen Jugendeinrichtungen aufgefordert sind, die jungen Syrerinnen oder Afghanen aufzunehmen, bemüht sich der evangelische Wohlfahrtsverband wie andere Träger auch, die eigenen Einrichtungen „zu ertüchtigen“, zu schulen und auszustatten. Und auch Pflegefamilien gilt es nicht nur zu finden, sagt Loheide. Auch sie brauchen Schulung für den nicht unkomplizierten Umgang mit teils traumatisierten jungen Menschen. Erziehungserfahrung, vor allem mit Teenagern, die ohnehin in einer Phase der Ablösung von der Familie sind, ist ausdrücklich erwünscht.

Wie sehen die Zukunftsperspektiven dieser Jugendlichen aus?

Die jungen Leute zwischen Kindheit und Erwachsenwerden hängen in Deutschland auch rechtlich oft zwischen den Welten: Weil sie noch nicht volljährig sind und schon dadurch besonderen Schutz genießen, stellen sie oft keinen Asylantrag – 2014 tat dies nur etwa die Hälfte der jungen Flüchtlinge, von denen immerhin 73 Prozent als schutzbedürftig anerkannt wurden und ein Bleiberecht erhielten. Sobald sie aber volljährig sind, droht ihnen ohne solchen Schutz, als lediglich Geduldete, die Abschiebung. Im letzten Jahr verbesserte das geänderte Bleiberecht jedoch ihre Möglichkeiten.

Wer als integriert gilt, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen – dafür sind vier Jahre erfolgreicher Schulbesuch nötig oder ein Schul- beziehungsweise Berufsabschluss. Aktuell sind mindestens sechs Jahre Schule Voraussetzung. Fürs Leben lernen, das heißt daher für viele: Sie lernen auch um ihr Leben.

Warum ist der Umgang mit den Jugendlichen rechtlich so schwierig?

Seit 2010 gilt die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, also auch für geflüchtete Kinder und Jugendliche – jedenfalls der Theorie nach. Praktisch unterstehen Mädchen und Jungen, die ohne Erwachsene fliehen, immer noch nicht allein dem Jugendrecht – für elternlose Kinder im Sozialgesetzbuch VIII –, sondern auch dem Ausländerrecht. „In der praktischen Umsetzung“, so eine Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom letzten Jahr, „ergibt sich (…) ein Spannungsfeld zwischen Jugendhilfe und Aufenthaltsrecht“. Das betrifft zum Beispiel die medizinische Versorgung, die für Flüchtlinge deutlich unter dem liegt, was Einheimische erhalten, und die wie für Erwachsene vom Asylbewerberleistungsgesetz geregelt wird.

Wie steht die Koalition zu dem Problem der minderjährigen Flüchtlinge?

Der Koalitionsvertrag hatte sie 2013 besonders in den Blick genommen: „Kinder und Jugendliche, die aus ihren Herkunftsländern allein nach Deutschland kommen, gehören zu den schutzbedürftigsten Personengruppen“, heißt es darin.

„Es sind junge Menschen, die häufig Schreckliches erlebt haben und möglicherweise physisch und psychisch stark belastet oder hoch traumatisiert sind. Sie kommen allein in einem fremden Land an, sprechen die Landessprache nicht und kennen die Kultur nicht, müssen sich aber dort vollkommen auf sich gestellt zurechtfinden. Es sind aber auch junge Menschen, die über Potenziale und Ressourcen verfügen.“ Das sah Deutschland lange durchaus enger.

Was ändert sich durch das neue Asylpaket?

Seit November, als das neue Bundesgesetz zur Verteilung in Kraft trat, hat sich einiges an der Lage geändert. War bisher für die unbegleiteten Jugendlichen das Jugendamt der Stadt oder des Kreises verantwortlich, wo sie ankamen oder registriert wurden, so werden die Jugendlichen jetzt wie Erwachsene nach dem „Königsteiner Schlüssel“ aufs Bundesgebiet verteilt, der Flüchtlinge nach Einwohnerzahl und wirtschaftlicher Leistungskraft der Regionen zuteilt.

Bis dahin befand sich etwa die Hälfte der jungen Leute in der Obhut von Jugendämtern in Bayern, wo die meisten von ihnen über die sogenannte Balkanroute landeten. Wohlfahrtsverbände fürchten freilich, dass das zwar die Hotspots entlastet, aber den jungen Flüchtlingen schaden könnte: Viele der Kommunen, bei denen bisher kein unbegleiteter junger Ausländer auflief, müssen jetzt rasch und oft ohne Kenntnisse für eine besonders verwundbare Gruppe Hilfe leisten.

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