zum Hauptinhalt
Nutella-Toast, jahrzehntelang im Ostblock unerreichbar, kommt er jetzt in schlechterer Qualität als im Westen.

© Gresei - Fotolia

Minderwertige Lebensmittel: Die Nutellakrise und das Misstrauen gegenüber Europa

Wenn die Lebensmittelkonzerne schlechtere Ware in den Osten liefern, vernichten sie ihr wichtigstes Kapital, das Vertrauen.

Wer aus der Generation 50 plus vor dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks Kontakte und Familienbande in die DDR oder andere Staaten des Warschauer Paktes hatte, kennt noch den Begriff des West-Paketes und die Bedeutung von Mitbringseln bei Besuchen jenseits des Eisernen Vorhangs. Im West-Paket fand sich alles, was in der sozialistischen Wirtschaft nicht zu bekommen war, und so sahen auch die Reisegeschenke aus. Westliche Markenartikel aus dem Lebensmittel- oder Kosmetikbereich standen, neben Jacobs-Krönung, in der Beliebtheitsskala ganz oben: Schokolade von Sarotti oder Milka, Nutella, Haribo, Kaba, Suppen von Knorr und Maggi.

Dass man das alles inzwischen überall in Europa kaufen kann, wurde gerade in Ländern wie Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn als selbstverständliche Folge der neuen Freiheit hingenommen – niemand wäre auf die Idee gekommen, dass diese Annahme falsch sein könne. Das änderte sich schlagartig, als das chronische Misstrauen vor allem der Regierungen der Visegrád-Staaten gegen das Brüssel-dominierte Europa in dem Verdacht kulminierte, man würde nicht nur allgemein als Mensch zweiter Klasse behandelt, sondern auch systematisch bei der Qualität der Lebensmittel betrogen – ausgerechnet jener Lebensmittel, die einst als begehrtes, aber kaum erreichbar scheinendes Symbol westlichen Wohlstandes überaus hoch geschätzt wurden.

Die Ergebnisse der Tests schienen den Verdacht zu bestätigen. Der Bahlsen-Butterkeks in Osteuropa enthielt Palmöl. Hipp-Babynahrung kam in Deutschland auf 38 Prozent Gemüse aus Karotten und Kartoffeln, in Kroatien waren es lediglich 24 Prozent und nur Karotten. In Limonaden fand sich statt Zucker Sirup, Wurst enthielt weniger Fleisch und mehr Fett, der Gemüseanteil in Tütensuppen war geringer als im Westen und Untersuchungen der ungarischen Lebensmittelsicherheitsbehörde und des slowakischen Landwirtschaftsministeriums kamen zu dem Schluss, dass auch die Rezepturen unterschiedlich waren.

Als in Ungarn protestiert wurde, die Nutella schmecke dort weniger schokoladig als die deutsche Variante, war der Begriff der europäischen Nutellakrise geboren, als Synonym für westliche Überheblichkeit und Ausbeuterei. Lebensmittelkolonialismus nannten das osteuropäische Kritiker.

Man ist geneigt, ihnen zu folgen. Immerhin änderte Bahlsen seine Rezeptur für die in Polen hergestellten Kekse inzwischen, nun ist auch dort nur Butter und kein Palmöl mehr drin. Lediglich Fischstäbchen-Hersteller Iglo bleibt dabei, dass in Deutschland und Österreich der Fischanteil 65 Prozent, in den nicht-deutschsprachigen EU-Ländern hingegen nur 58 Prozent beträgt. Die Logik dahinter erschließt sich auch nach längerem Nachdenken nicht.

Dass es bei den Vorwürfen wirklich nicht um einen Ersatzkriegsschauplatz geht, sondern um ein ernstes Problem, machte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bewusst. Vor wenigen Tagen adressierte er in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union das Thema an die Staaten, die es vor allem betrifft, Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei. Er sagte: „Ich werde nicht akzeptieren, dass Menschen in manchen Teilen Europas qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen ...“

Mit verschiedenen nationalen Geschmäckern und Besonderheiten, wie es die internationalen Nahrungsmittelhersteller gerne versuchen, lassen sich die Unterschiede jedenfalls nur in seltenen Fällen begründen. So ist Nutella in Frankreich tatsächlich dünnflüssiger als in Deutschland, weil die Creme sonst nicht auf das weiche Baguettebrot gestrichen werden kann. Auch dass in Dänemark süßer gegessen wird als etwa in Frankreich, darf sich in der Zusammensetzung eines Produktes niederschlagen. Aber dass Butter generell ein höherwertiger Zusatz als Palmöl ist, kann auch der Laie überall nachlesen.

Nein, das Problem sitzt tiefer: Den Konzernen ist offenbar überhaupt nicht bewusst, dass ihre Produkte beim Verbraucher in einem hohen Ansehen stehen, und dass sie ihre eigene Reputation, ein unschätzbar wertvolles Kapital, zerstören, wenn sie über die Gründe für die Verwendung unterschiedlicher Ingredienzien nicht offensiv informieren – falls es denn dabei andere Überlegungen gibt als die, wie man die Gewinnspanne bei einem Produkt durch die Verwendung billiger Zutaten erhöhen kann. Wenn das Reden vom mündigen Verbraucher mehr als Geschwätz ist, sollte so viel Aufklärung eigentlich normal sein.

Zur Startseite