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Mindestlohn: Warum will ihn jetzt auch die CDU?

Jetzt fordern ihn plötzlich alle. Die Christdemokraten machen sich zu eigen, was sie jahrelang bekämpften - und werden damit der SPD gefährlich.

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Die CDU will den Mindestlohn einführen. Einen solchen Satz hätte Michael Fuchs, Unternehmer, Bundestagsabgeordneter der CDU und Chef der parteinahen Mittelstandsvereinigung, wohl vor ein paar Jahren noch nicht einmal laut vorgelesen. In zwei Wochen wird Fuchs aller Voraussicht nach seine Hand heben, wenn man ihn und die anderen Delegierten des Bundesparteitages in Leipzig zur Abstimmung über den Antrag der Parteispitze bittet. Und in dem Antrag heißt es: „Die CDU Deutschlands hält es für notwendig, eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert. Die Lohnuntergrenze wird durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt, die Höhe der Lohnuntergrenze soll sich am Tarifabschluss für Zeitarbeitnehmer orientieren. Wir wollen eine durch die Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn.“

Wie ist es in der CDU zum Umdenken über den Mindestlohn gekommen?

Um sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, muss man einen Blick auf Karl-Josef Laumann richten. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen ist Anhänger der katholischen Soziallehre und ringt als Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA seit vielen Jahren um die Einführung von Lohnuntergrenzen. „Es gehört nicht zum Allerheiligsten der CDU, dass Menschen für 4,50 Euro die Stunde arbeiten. Die Parteibasis sieht das schon lange so: Wer acht Stunden arbeitet, muss auch davon leben können. Leistung muss sich lohnen“, warb Laumann dieser Tage für eine Kehrtwende seiner Partei.

Und Laumann reiste in den vergangenen Monaten von Kreisverband zu Kreisverband und sicherte sich die Unterstützung der CDU-Mitglieder auch in langjährig arbeitgebernahen Ländern wie in Baden-Württemberg. Schließlich sammelte er auch die Zustimmung von Leuten wie Michael Fuchs vom Wirtschaftsflügel der CDU. Dass Menschen für eine Hand voll Euro arbeiten und abends zum Arbeitsamt gehen, damit sie die Miete bezahlen können, das konnte auf Dauer wohl auch der hartgesottenste Ordnungs- und Wirtschaftspolitiker den CDU-Mitgliedern nicht mehr erklären.

Lesen Sie auf Seite 2, was die FDP zu den Mindestlohn-Plänen sagt

Wie steht der Koalitionspartner FDP dazu?

Für die FDP ist die Mindestlohn-Wende des Koalitionspartners gelinde gesagt eine Katastrophe. Denn sie treibt den neuen Vorsitzenden Philipp Rösler in Erklärungsnot. Wäre Guido Westerwelle noch FDP-Chef, hätte er glaubwürdig die in der FDP geltende Ablehnung eines wie auch immer gearteten Mindestlohnes verkünden können und den Nerv der meisten Liberalen getroffen. Wahrscheinlich hätte er sogar vom neuen Mindestlohn-Kurs frustrierte Anhänger der CDU auf die Seite der FDP ziehen können. Doch Rösler selbst steht der Einführung von Lohnuntergrenzen bekanntlich nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Für einen Überzeugungs- und Diskussionsprozess in der FDP hatte er jedoch noch nicht genug Zeit. Das macht für ihn ein klares Bekenntnis nun schwer – und droht die FDP-Anhänger noch mehr zu verunsichern. Überrascht von der Volte des Regierungspartners, reagierten die Liberalen denn auch ganz unterschiedlich. „Gesetzliche Mindestlöhne halte ich für den falschen Weg“, sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, während Generalsekretär Christian Lindner nur Stunden zuvor die Lösung der CDU, solche branchenspezifischen Löhne durch Kommissionen bestimmen zu lassen, noch als diskussionswürdigen Weg beschrieben hatte. Und der Wirtschaftsexperte Hermann Otto Solms bezeichnete sich als „verhalten skeptisch, aber gesprächsbereit“ über den Weg, den die CDU gehen will.

Gegner von Mindestlöhnen sagen, dadurch würden Arbeitsplätze vernichtet – stimmt das?

Nein, es stimmt nicht. Zumindest, wenn man über die Variante spricht, die die CDU jetzt vereinbaren will. Dabei geht es nicht um einen einheitlichen Mindestlohn, der über alle Branchen und Regionen hinweg gelten soll, sondern um eine branchenscharfe Betrachtung. Überall dort, wo es bisher keine Tarifvereinbarungen gibt, sollen in Zukunft Kommissionen, in denen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer sitzen, eine Lohnuntergrenze aushandeln. Diese wird dann von der Bundesregierung als allgemeinverbindlich für alle Unternehmen erklärt, die in der betreffenden Branche in Deutschland tätig sind.

Seit Helmut Kohl 1997 für die Baubranche – übrigens unter tätiger Mithilfe der Arbeitgeber, für die der Lohn- und Preisdruck ruinöse Auswirkungen hatte – den ersten Branchenmindestlohn festlegte, gibt es Erfahrungen in unterschiedlichen Branchen. Diese Erfahrungen wurden in den vergangenen Monaten im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums zusammengetragen. Und siehe da: Das Urteil der Prüfer ist beinahe einhellig. Weder vernichten Branchenmindestlöhne Jobs noch behindern sie den Wettbewerb. Was höchstwahrscheinlich auch daran liegt, dass nicht Politiker, sondern Brancheninsider über die jeweilige Untergrenze bestimmen.

Lesen Sie auf Seite 3, was der Schwenk für die SPD bedeutet

Reichen, wie von der CDU geplant, 6,90 Euro als Lohnuntergrenze?

Diese Frage kann man so pauschal nicht für alle Branchen beantworten. Die IG Metall hat am Montag schon mal gewarnt, 6,90 Euro würden zu niedrig sein. Für den Metallbereich, wo man Mitarbeiter sucht, mag das durchaus auch zutreffen. Ob die Branche der Friseure, in der besonders schlecht bezahlt wird, auch so denkt, darf allerdings angezweifelt werden.

Was bedeutet der Schwenk der CDU für die SPD-Wahlchanchen?

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles gab sich am Montag alle Mühe, den Eindruck aus der Welt zu schaffen, die neue Politik könne für ihre Partei zum Problem werden. „Wir haben keinerlei Sorge, dass wir nicht genügend Themen hätten“, versicherte sie . Tatsächlich aber schwinden mit der jüngsten Volte der Kanzlerin die Chancen, klare Unterscheidungsmerkmale aufzuzeigen. Mit großer Konsequenz hat die CDU-Chefin frühere Parteibastionen wie die Unterstützung der Atomkraft, das Festhalten an der Wehrpflicht oder die Verteidigung der Hauptschule geräumt. Sogar zur Finanztransaktionssteuer bekennt sich die Koalition nun. Wichtige SPD-Politiker erinnern sich schon an Merkels Wahlkampfstrategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ aus dem Jahr 2009. Damals vermied die CDU konfliktträchtige Aussagen und bot damit wenig Angriffsfläche. Die SPD erzielte mit 23 Prozent ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis.

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